Die Vorhersage der Restnutzungsdauer (Remaining Useful Life, RUL) von Bauteilen und Systemen in komplexen Umgebungen, wie etwa Offshore-Ölförderanlagen, stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Insbesondere bei Subsea-Ventilen und Pipelines wirken vielfältige Degradationsursachen gleichzeitig, etwa Ermüdung, Korrosion, Sanderosion oder die Einwirkung von internen Wellen. Diese Mehrfachursachen führen zu einer Unsicherheit in der Modellierung der Degradationsprozesse und erschweren eine präzise Lebensdauerprognose.

Konventionelle physikbasierte Modelle stoßen hier an ihre Grenzen, da sie nur schwer alle multifaktoriellen und dynamischen Einflüsse vollständig und präzise erfassen können. Datengetriebene Ansätze hingegen, wie das Kalman-Filter (KF) oder Deep Belief Networks (DBN), profitieren zwar von großen Datenmengen und Mustererkennung, leiden jedoch häufig unter der begrenzten Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger und ausreichend umfassender Messdaten. Die Kombination beider Ansätze verspricht daher eine deutliche Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit.

Ein vielversprechender Ansatz ist die hybride Modellierung mittels DBN-KF, welche die Stärken beider Methoden integriert. DBNs ermöglichen die Repräsentation komplexer Abhängigkeiten und Unsicherheiten in den Degradationsprozessen und können verschiedene Ursachen simultan modellieren. Das Kalman-Filter sorgt für eine fortlaufende Anpassung und Optimierung der Zustands- und Parameterabschätzungen anhand verfügbarer Messdaten. So kann die Prognose der RUL über den gesamten Lebenszyklus eines Bauteils kontinuierlich verbessert werden.

In der Praxis zeigt sich, dass die RUL-Vorhersagen mittels DBN-KF besonders bei Subsea-Ventilen deutlich genauer sind als bei der alleinigen Nutzung des Kalman-Filters oder reiner DBN-Modelle. Beispielsweise weicht die RUL-Schätzung des KF-Modells um mehr als 40 Monate von der tatsächlichen Restlebensdauer ab, während die hybride Methode sich innerhalb eines wesentlich engeren Fehlerbereichs bewegt und die tatsächliche Ausfallzeit präziser trifft. Diese Verbesserung von nur wenigen Monaten, etwa zwei Monaten, hat in der Offshore-Ölindustrie einen hohen wirtschaftlichen Wert, da frühzeitige oder verspätete Wartungen erhebliche Kosten verursachen können.

Die RUL-Verteilung zu Beginn des Prognosezeitraums ist naturgemäß unsicher und weit gestreut, da noch wenige Degradationsdaten vorliegen. Mit fortschreitender Betriebsdauer und zunehmender Datenverfügbarkeit verdichtet sich die Verteilung, und das Vertrauen in die Prognose steigt. Die Degradationskurve zeigt dabei häufig einen nahezu linearen Verlauf, wodurch die Vorhersage über längere Zeiträume plausibel extrapoliert werden kann.

Die Anwendung der hybriden Methode auf Offshore-Subsea-Systeme, wie Pipelineabschnitte oder Ventile, demonstriert eindrucksvoll, dass die Berücksichtigung multipler Ursachen und die Kombination von physikalischem Wissen mit datengetriebenen Methoden eine robuste, belastbare und realitätsnahe RUL-Prognose ermöglichen. Diese Vorgehensweise schafft eine fundierte Basis für zustandsorientierte Wartungsstrategien (Condition-Based Maintenance, CBM), die auf einer zuverlässigen Lebensdauerabschätzung beruhen.

Neben der Modellierung und Prognose der RUL ist es für Anwender essenziell, die Grenzen der Datenqualität und -quantität sowie die Unsicherheiten in den Vorhersagen zu verstehen. Prognosen sollten stets als Wahrscheinlichkeitsaussagen interpretiert werden, die im Zeitverlauf durch neue Daten verfeinert werden. Ein dynamisches Update der Modelle unter Einbeziehung von Sensordaten und Expertenwissen erhöht die Aussagekraft und reduziert das Risiko unerwarteter Ausfälle. Dabei ist die Integration physikalischer Erkenntnisse unabdingbar, um Datenlücken zu kompensieren und die modelltheoretische Fundierung sicherzustellen.

Langfristig trägt ein solches hybrides Vorgehen nicht nur zur Kosteneffizienz bei, sondern erhöht auch die Betriebssicherheit und Lebensdauer von Anlagen, die in extrem anspruchsvollen und komplexen Umgebungen wie der Offshore-Ölförderung eingesetzt werden. Es gilt, das Zusammenspiel verschiedener Degradationsmechanismen ganzheitlich zu betrachten und die Prognosemodelle kontinuierlich weiterzuentwickeln, um zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden.

Wie wirken sich verschiedene Faktoren auf die Lebensdauer von Unterwasserpipelines aus?

Unterwasserpipelines, die für den Transport von Öl, Gas und anderen Flüssigkeiten in tiefen Meeresgebieten verwendet werden, unterliegen einer Vielzahl von Gefährdungen, die ihre strukturelle Integrität beeinträchtigen und ihre verbleibende Lebensdauer (RUL – Remaining Useful Life) bestimmen können. Diese Gefährdungen resultieren aus einer Kombination von verschiedenen Mechanismen wie Ermüdung, Korrosion, Sanderosion und inneren Wellen. Alle diese Faktoren wirken gleichzeitig und beeinflussen die Ausbreitung von Rissen, was zu einer Verringerung der Lebensdauer der Pipeline führt.

Einer der wichtigsten Ursachen für die Schädigung von Unterwasserpipelines ist die Ermüdung, die auf die wiederholte Beanspruchung durch zyklische Belastungen zurückzuführen ist. Diese zyklischen Belastungen sind in marinen Umgebungen besonders ausgeprägt, da Unterwasserpipelines ständig mechanischen Kräften ausgesetzt sind, die durch Strömungen, Temperaturunterschiede und Druckveränderungen entstehen. Das Wachstum von Ermüdungsrissen wird häufig durch die Paris-Gesetzmäßigkeit beschrieben, die die Wachstumsrate von Rissen als Funktion der Spannungsintensität und der Anzahl der Lastzyklen angibt. Diese Risse wachsen mit der Zeit und führen schließlich zum Versagen der Pipeline.

Ein weiterer wichtiger Mechanismus, der die Lebensdauer von Unterwasserpipelines beeinflusst, ist die Korrosion. Unterwasserpipelines sind anfällig für innere Korrosion, die durch die Wechselwirkung der Pipeline mit korrosiven Medien wie Öl, Gas und Wasser bei hohen Temperaturen und Drücken ausgelöst wird. Korrosion entsteht durch elektrochemische Reaktionen zwischen dem Metall der Pipeline und seiner Umgebung. Verschiedene Faktoren, wie Temperatur, CO2-Gehalt und chemische Zusammensetzung der Flüssigkeiten, beeinflussen die Korrosionsrate. Die Berechnung der Korrosionsrate erfolgt oft mit Hilfe von Modellen, die Faktoren wie Massentransport und Fließgeschwindigkeit berücksichtigen.

Sanderosion stellt eine weitere Bedrohung dar. Besonders bei Pipelines, die Öl und Gas transportieren, kann Sand, der im Fluid transportiert wird, zu Erosion und damit zu einer Abnutzung der inneren Rohrwände führen. In Bereichen wie Rohrbögen oder Abzweigungen, wo die Strömungsgeschwindigkeit hoch ist, kann der Sand eine erhebliche Schädigung verursachen. Erosion entsteht durch den direkten Einschlag von Partikeln auf die Rohrwand, die genügend kinetische Energie besitzen, um die Wand zu erodieren und Risse zu erzeugen. Besonders bei rohrförmigen Strukturen, die in dynamischen und turbulenten Umgebungen betrieben werden, kann dies die Lebensdauer erheblich verkürzen.

Die Auswirkungen von internen Wellen, die durch die Strömung im Meer entstehen, sind ebenfalls ein bedeutender Faktor, der die strukturelle Integrität von Unterwasserpipelines beeinflussen kann. Interne Wellen erzeugen starke Strömungen und Turbulenzen, die wiederum die Pipeline und ihre Verbindungen belasten. Diese Turbulenzen wirken als zusätzliche Belastung auf die Risse, die sich durch Ermüdung und Erosion bereits gebildet haben, und beschleunigen deren Ausbreitung. Daher sind die durch interne Wellen verursachten Kräfte in der Modellierung der verbleibenden Lebensdauer von Pipelines ebenfalls zu berücksichtigen.

Zur Berechnung der verbleibenden Lebensdauer von Unterwasserpipelines, die durch diese verschiedenen Mechanismen beeinträchtigt wird, werden verschiedene mathematische Modelle verwendet. Eines der am häufigsten eingesetzten Modelle ist das DBN (Dynamic Bayesian Network)-Modell, das eine Kombination der verschiedenen Schadensmechanismen berücksichtigt. In diesem Modell wird die Auswirkung von Ermüdung, Korrosion, Erosion und inneren Wellen auf das Risswachstum und die Lebensdauer der Pipeline zusammengeführt. Die physikalischen Modelle für Ermüdung, Korrosion und Erosion werden mithilfe von empirischen Daten und Expertenwissen parametrisiert und in das DBN integriert.

Das Ermüdungswachstum von Rissen in Unterwasserpipelines wird durch das Paris-Gesetz modelliert, das die Wachstumsrate des Risses in Abhängigkeit von der Anzahl der Lastzyklen beschreibt. Hierbei wird der Spannungsintensitätsfaktor als treibende Kraft des Risswachstums verwendet. Bei der Korrosionsmodellierung wird häufig das Modell von Shell für CO2-Korrosion herangezogen, das verschiedene Umgebungsfaktoren wie Temperatur, CO2-Gehalt und pH-Wert berücksichtigt. Für die Sanderosion wird das Salama-Modell verwendet, das die Kinetik der Sandpartikel und deren Wechselwirkung mit der Rohrwand beschreibt. Schließlich werden die Auswirkungen interner Wellen durch eine modifizierte Version des Paris-Gesetzes modelliert, bei dem die Spannungsintensität durch die Kraft der internen Wellen erhöht wird.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Kombination dieser verschiedenen Schadensmechanismen die tatsächliche Lebensdauer der Pipeline erheblich beeinflussen kann. Das interaktive Zusammenspiel dieser Faktoren bedeutet, dass eine einzelne Einflussgröße allein nicht ausreichend ist, um die Lebensdauer präzise vorherzusagen. Auch wenn Modelle zur Vorhersage der verbleibenden Lebensdauer auf der Grundlage einzelner Mechanismen wie Ermüdung oder Korrosion hilfreich sind, müssen sie in einem integrierten Ansatz berücksichtigt werden, der die Wechselwirkungen zwischen diesen Mechanismen berücksichtigt.

Um die Genauigkeit der Vorhersage der verbleibenden Lebensdauer zu erhöhen, ist es daher notwendig, kontinuierliche Überwachungsdaten und historische Daten in die Berechnungen einzubeziehen. Diese Daten liefern wichtige Informationen über die tatsächlichen Betriebsbedingungen und den Zustand der Pipeline, was zu einer präziseren Schätzung der verbleibenden Lebensdauer führt.

Wie genau lässt sich die Systemdegradation vorhersagen?

Die Vorhersage der Systemdegradation stellt eine zentrale Herausforderung im Bereich der Zuverlässigkeitsanalyse dar. Die Kombination physikalischer Modelle mit statistischen Prozessen wie dem Wiener-Prozess ermöglicht differenzierte Prognosen, jedoch variiert deren Genauigkeit in Abhängigkeit von der Länge des betrachteten Zeitraums und der Komplexität der Degradationsmechanismen.

Im sogenannten „Re-prediction 3“-Modell wird die Prognose der Degradation in diskrete Zeitschritte unterteilt. Die Berechnungen erfolgen iterativ, wobei jeder neue Zeitschritt auf der vorhergesagten und der real gemessenen Degradation des vorherigen Zeitpunkts basiert. Dabei wird zwischen dem initialen Vorhersagewert, der auf einem Wiener-Prozess basiert, und den jeweils aktuellen Überwachungsdaten differenziert. Die Gewichtsverteilung innerhalb der Prognose – 90 % basierend auf dem inkrementellen Anstieg der Degradation und 10 % auf der beobachteten Ausfallrate – verdeutlicht die Zielsetzung, eine Balance zwischen Modellannahme und empirischer Evidenz zu schaffen.

Ein zentrales Ergebnis dieser Modellierung ist die Erkenntnis, dass sich der Degradationsverlauf in drei klar unterscheidbare Phasen gliedern lässt: eine initiale Phase mit hoher Degradationsrate, eine mittlere mit nahezu konstantem Verlauf und eine späte Phase, in der sich die Degradation erneut beschleunigt. Diese Einteilung beruht sowohl auf der Analyse historischer Daten als auch auf der Einbeziehung ingenieurtechnischer Erfahrungswerte. Die Zeitachse wird dabei in Halbjahren gemessen, was eine praxisnahe Korrelation mit realen Wartungszyklen ermöglicht.

In der Anwendung physikalischer Modelle zur Prognose der Degradationsrate zeigt sich, dass im Langzeitverlauf signifikante Abweichungen zwischen vorhergesagten und tatsächlich gemessenen Werten auftreten. Besonders deutlich wird dies daran, dass die modellbasiert berechnete Degradation am Ende des Beobachtungszeitraums mehr als doppelt so hoch ist wie die gemessene. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, diese Modellierungsansätze primär auf kurzfristige Prognosen zu beschränken oder entsprechend anzupassen.

Der Wiener-Prozess, ein stochastisches Modell, bietet hierbei einen alternativen Ansatz. Dieser berücksichtigt zwar nicht die historische Entwicklung direkt, erlaubt jedoch eine dynamische Prognose auf Basis des aktuellen Zustands. Die Resultate zeigen, dass die kumulative Degradation in jeder Phase tendenziell überschätzt wird, wobei der Fehler mit zunehmender Zeit zunimmt. Die Anfangsphase weist eine fast lineare Entwicklung auf, die zweite Phase beginnt mit hoher Übereinstimmung zwischen Prognose und Messung, divergiert jedoch im weiteren Verlauf. In der dritten Phase fällt die Differenz geringer aus als in den vorherigen. Dies legt nahe, dass sich die Prognosegenauigkeit über den gesamten Degradationsverlauf hinweg verbessert, auch wenn die absoluten Fehler in späteren Phasen nicht vernachlässigt werden können.

Zur Verbesserung der Prognosegenauigkeit wird eine vereinfachte Berechnungsformel eingeführt, welche die jeweilige Degradation um einen konstanten Faktor korrigiert. Diese Faktoren – etwa 0.905 für die erste Phase, 0.404 für die zweite und 0.213 für die dritte – basieren auf der empirisch ermittelten Abweichung zwischen Modell und Realität. Die Anwendung dieser Korrektur ergibt vorhergesagte Werte, die näher an den beobachteten Daten liegen und die Anwendung des Wiener-Modells auch über längere Zeiträume praktikabler erscheinen lassen.

Wesentlich für das Verständnis und die Anwendung dieser Modelle ist die Tatsache, dass jedes System eigene Degradationsmuster aufweist, die nicht nur vom Alter, sondern auch von äußeren Einflüssen, Belastungsprofilen und konstruktiven Besonderheiten abhängen. Der alleinige Rückgriff auf aktuelle Zustandsinformationen, wie im Wiener-Prozess, ist daher in komplexeren Systemen nur eingeschränkt geeignet. Eine adäquate Prognose erfordert die Kombination aktueller Zustandsdaten mit historischen Verlaufsinformationen sowie die Berücksichtigung nichtlinearer Einflussgrößen.

Für eine vollständige Bewertung der Restnutzungsdauer eines technischen Systems muss darüber hinaus auch die Interaktion zwischen Teilsystemen und deren gegenseitige Beeinflussung berücksichtigt werden. Eine reine Einzelbetrachtung vernachlässigt potenzielle Kaskadeneffekte, die zu einer beschleunigten Systemdegradation führen können. Deshalb ist eine umfassende Modellierung nur unter Einbeziehung ganzheitlicher Systemanalysen möglich.