Komplexe Reaktionen zeichnen sich durch mehrere elementare Schritte aus, die gemeinsam den Gesamtmechanismus der Reaktion bestimmen. Diese Reaktionen umfassen oft eine Vielzahl von konkurrierenden und miteinander wechselwirkenden Elementarschritten, die zu einer komplexen Geschwindigkeitsgesetzgebung führen. Ein Beispiel für eine komplexe Reaktion ist die Reaktion zwischen 3-Methylbenzenediazonium-Ionen und Methylgallat. Dieser Mechanismus umfasst mehrere Schritte, darunter einen schnellen Ionisationsprozess, einen konkurrenzierenden irreversiblen Schritt und zwei aufeinanderfolgende Schritte, von denen der erste reversibel und der zweite irreversibel ist.

Es ist wichtig, dass bei der Betrachtung komplexer Reaktionen der mechanistische Einfluss der quantisierten Natur der Materie berücksichtigt wird: Einzelne Moleküle können nur einfache Reaktionen durchlaufen. Daher muss selbst die komplizierteste chemische Umwandlung das Ergebnis von konkurrierenden und miteinander interagierenden Elementarschritten sein. Das Hauptziel der kinetischen Untersuchung komplexer Reaktionsmechanismen besteht darin, die Anzahl und die Art der Elementarschritte zu bestimmen, die zusammen die Gesamtreaktion ausmachen.

Ein praktischer Ansatz zur Klassifizierung solcher Reaktionen basiert auf den verschiedenen Wegen, wie die Reaktanten in Produkte umgewandelt werden. Die wichtigsten Kategorien sind parallele, reversible, irreversible aufeinanderfolgende und aufeinanderfolgende Reaktionen mit einem Element von Reversibilität. Parallelreaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass dieselbe reaktive Spezies durch verschiedene konkurrierende Wege reagiert, wobei jeder Weg mit einer eigenen Geschwindigkeitskonstanten versehen ist. Reversible Reaktionen sind solche, bei denen die Produkte der direkten Reaktion wieder zu den Ausgangsstoffen zurückgeführt werden können. Bei irreversiblen aufeinanderfolgenden Reaktionen führt das Produkt des ersten irreversiblen Schrittes zu einem Reaktanten in einem nachfolgenden Schritt. In vielen Fällen ist der erste Schritt reversibel, was eine Vereinfachung der Kinetik des gesamten Mechanismus ermöglicht.

Der Mechanismus komplexer Reaktionen kann durch das Vorhandensein verschiedener Übergangszustände, die jeweils mit ihren eigenen spezifischen Geschwindigkeitskonstanten verbunden sind, beschrieben werden. Die Bestimmung des entsprechenden Geschwindigkeitsgesetzes ist jedoch keineswegs trivial. Sie erfordert die Lösung eines Systems von Differentialgleichungen, was nur in den einfacheren Fällen eine analytische Lösung zulässt. In komplexeren Fällen müssen mathematische Methoden wie Laplace-Transformationen, Matrixmethoden oder Runge-Kutta-Verfahren angewendet werden. Fehlen Informationen über die Größenordnungen der Geschwindigkeitskonstanten, erfolgt die Behandlung der kinetischen Systeme oft unter Einsatz numerischer Methoden, unterstützt durch kommerziell verfügbare Computerprogramme oder auch durch stochastische Verfahren wie das Monte-Carlo-Verfahren.

Ein Beispiel für eine parallele Reaktion ist die Umwandlung eines Reaktanten A über zwei verschiedene Wege zu den Produkten B und C. In einem einfachen Fall handelt es sich dabei um zwei konkurrierende erste Ordnung Prozesse, die jeweils mit ihren eigenen Geschwindigkeitskonstanten kB und kC beschrieben werden. Die Abnahme der Konzentration von A und die Bildung der Produkte B und C lassen sich durch die entsprechenden Differentialgleichungen beschreiben. Bei parallelen Reaktionen ist es wichtig, dass die Gesamtgeschwindigkeit der Reaktion die Summe der Geschwindigkeitskonstanten der einzelnen Teilprozesse ist. Dies bedeutet, dass eine Messung der Geschwindigkeit der Reaktion nur die Gesamtrate kB + kC liefert, nicht jedoch die individuellen Werte von kB und kC.

Ein weiteres interessantes Detail bei parallelen Reaktionen ist, dass durch die Änderung von experimentellen Bedingungen – wie Temperatur, Lösungsmittel oder Katalysatoren – das Verhältnis der Produktbildung verändert werden kann. Dies liegt daran, dass die verschiedenen Reaktionen unterschiedliche Aktivierungsenergien besitzen, wodurch der Einfluss der Bedingungsänderung auf jede Reaktion verschieden ist. Daher sollte beim Experimentieren mit diesen Systemen darauf geachtet werden, dass die Änderung eines Parameters nicht zwangsläufig das Produktverhältnis konstant hält.

Für komplexe Reaktionsmechanismen mit mehr als zwei parallelen Reaktionspfaden lässt sich die Analyse in ähnlicher Weise erweitern. Wenn n erste Ordnung Schritte beteiligt sind, bei denen A als allgemeiner Reaktant und P1, P2,..., Pn die unterschiedlichen Produkte sind, wird die Gesamtreaktionsrate durch die Summe der Geschwindigkeitskonstanten der einzelnen Schritte bestimmt.

Es ist unerlässlich, dass der Forscher bei der Untersuchung komplexer Reaktionen eine Vielzahl von Faktoren in Betracht zieht. Neben der Bestimmung der elementaren Schritte und der Analyse der kinetischen Daten muss auch berücksichtigt werden, wie Veränderungen der experimentellen Bedingungen den Verlauf der Reaktion beeinflussen. Beispielsweise können Temperaturänderungen nicht nur die Geschwindigkeit der Reaktion beeinflussen, sondern auch die Selektivität der Produkte, was zu einer falschen Schlussfolgerung über den Mechanismus führen kann, wenn solche Effekte nicht angemessen berücksichtigt werden.

Wie chemische Reaktivität in kolloidalen Systemen modelliert wird

In chemischen Reaktionen, die in Lösung stattfinden, müssen die Reaktanten miteinander interagieren, um ein sogenanntes „Begegnungs-Komplex“ zu bilden, das dann zum Übergangszustand und letztlich zu den Produkten führt. Diese Übergangsphase ist von entscheidender Bedeutung, denn ohne sie verläuft die Reaktion nicht. In Systemen, die mehrere Phasen oder Kolloide enthalten, ist dieser Prozess noch komplexer, da die Reaktanten je nach ihren Löslichkeitseigenschaften in verschiedenen Regionen des Systems verteilt sind. Ein solches Szenario tritt häufig in Emulsionen oder Mikroemulsionen auf, bei denen die Reaktanten in ölhaltige, interphasische und wässrige Bereiche unterteilt werden.

Im Wesentlichen hängt die Geschwindigkeit einer bimolekularen Reaktion in solchen Systemen von der Geschwindigkeit ab, mit der sich die Reaktanten in diesen unterschiedlichen Regionen begegnen und miteinander interagieren. Wenn einer der Reaktanten in großer Überschusskonzentration vorliegt, wie es häufig bei der sogenannten Isolationstechnik der Fall ist, kann die Geschwindigkeit der Reaktion durch einen sogenannten „pseudo-ersten Ordnung“-Rate-Koeffizienten beschrieben werden. In solchen Fällen wird die Gesamtreaktionsgeschwindigkeit durch den Überschuss eines Reaktanten dominiert, und die Ratekonstanten können vereinfacht dargestellt werden, was eine praktischere Analyse ermöglicht. In diesem Fall ist die Geschwindigkeit der Reaktion proportional zur Konzentration des limitierenden Reaktanten, während der Überschussreaktant in der Gleichung als Konstante behandelt wird.

In mehrphasigen Kolloid-Systemen wird jedoch davon ausgegangen, dass die Reaktanten zwischen den verschiedenen Bereichen des Systems ausgetauscht werden, die jeweils unterschiedliche Lösungseigenschaften besitzen. Dies führt dazu, dass nach der ersten vollständigen Mischung die Reaktanten entsprechend ihrer Löslichkeit auf Öl-, Interphasen- und Wasserregionen verteilt werden. Das bedeutet, dass die Reaktivität der Reaktanten nicht nur von ihrer Konzentration in der Gesamtmischung abhängt, sondern auch von der Verteilung der Reaktanten in den jeweiligen Phasen. Die Reaktionsgeschwindigkeit in einem solchen System ergibt sich daher aus der Summe der Reaktionsgeschwindigkeiten in den einzelnen Bereichen des Systems.

Die Reaktionsraten in den verschiedenen Bereichen des Systems – Öl, Interphase und Wasser – können durch unterschiedliche Ratekonstanten ausgedrückt werden, die jeweils auf den spezifischen Eigenschaften der Lösungsmittel in diesen Bereichen basieren. Dies führt zu der Notwendigkeit, experimentelle Daten und die entsprechenden kinetischen Modelle sorgfältig zu analysieren, um eine quantitative Interpretation der Reaktivität zu ermöglichen. Dabei spielen die spezifischen thermodynamischen Verteilungen der Reaktanten zwischen den verschiedenen Phasen eine entscheidende Rolle. Um diese Verteilungen zu verstehen, sind Modelle erforderlich, die die lokalen Konzentrationen der Reaktanten und die Ratekonstanten in den verschiedenen Regionen berücksichtigen.

Menger und Portnoy führten vor mehr als vier Jahrzehnten die Pseudophasen-Modelle ein, um die chemische Reaktivität in micellaren Systemen zu beschreiben. Diese Modelle wurden später von Romsted erweitert, um Ionenaustauscheffekte und reaktive Gegenionen in die Betrachtung einzubeziehen. Ein solcher Ansatz hat die Interpretation der Reaktivität in kolloidalen Systemen erheblich verändert, da er die Wechselwirkungen und das Verhalten der Reaktanten innerhalb der jeweiligen Phasen berücksichtigt. In der Praxis werden Pseudophasen-Modelle auch auf kolloidale Lösungen und Emulsionssysteme angewendet, solange die Mischungen flüssig genug sind, um ein gutes Mischen im Volumen zu gewährleisten.

Die Verteilung der Reaktanten A und B zwischen den verschiedenen Phasen des Systems kann durch die entsprechenden Partitionierungskoeffizienten zwischen den Phasen beschrieben werden. Dies umfasst sowohl die Verteilung zwischen der wässrigen und der interphasischen Region als auch zwischen der interphasischen und der öligen Region. Mit diesen Daten und den Thermodynamik-Modellen können die Konzentrationen der Reaktanten in den verschiedenen Phasen bestimmt werden, was eine detaillierte Berechnung der Reaktionsgeschwindigkeit ermöglicht.

Um diese komplexen Reaktionsmechanismen experimentell zu handhaben, müssen Vereinfachungen vorgenommen werden. Häufig werden gezielt chemische Reaktionen gewählt, bei denen die Struktur der Reaktanten so gewählt wird, dass sie bevorzugt in einer bestimmten Region reagieren. Auch die Wahl spezieller chemischer Sonden, die molekulare oder spektrale Eigenschaften aufweisen, die sie in einer bestimmten Region lokalisieren, kann hilfreich sein, um die Reaktivität gezielt zu untersuchen. Darüber hinaus ermöglicht die Verwendung von ionischen Tensiden in Experimenten eine Konzentration der Reaktanten oder eine elektrostatische Trennung der Reaktanten in der Interphasenregion, was die experimentelle Handhabung vereinfacht.

Ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden muss, ist, dass die Ratekonstanten in den verschiedenen Phasen des Systems nicht gleich sind. Die Lösungseigenschaften in den einzelnen Bereichen sind so unterschiedlich, dass sie die Stabilität der Übergangszustände und der Reaktanten selbst beeinflussen. Dies führt dazu, dass die Reaktionsraten in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich sind und dass die Lösungsmittelumgebung in jeder Phase eine andere Wirkung auf den Übergangszustand und die Reaktion selbst hat.

Die experimentelle Untersuchung der Reaktivität in Mikroemulsionen und Emulsionen erfordert daher eine präzise Kontrolle der Bedingungen und eine sorgfältige Auswahl der verwendeten Modelle. Der Aufbau geeigneter Reaktionssysteme, die auf den spezifischen Eigenschaften der einzelnen Phasen beruhen, sowie die Wahl der richtigen Reaktanten und Bedingungen für die Experimente sind entscheidend, um die Reaktivität und die zugrunde liegenden Mechanismen korrekt zu verstehen.