Die menschliche Psyche ist oftmals von der Dominanz des konzipierten Selbst geprägt, das durch vergangene Erfahrungen und zukünftige Erwartungen geformt wird. Wir sind häufig gefangen in der Vorstellung, wer wir einmal waren und wer wir noch werden sollten. Diese Konzepte lassen uns den gegenwärtigen Moment entgleiten, da wir entweder in der Vergangenheit verweilen oder uns in Sorgen um die Zukunft verlieren. Dieser ständige Blick zurück oder nach vorn kann uns in einem Zustand der Unruhe und des Stresses halten, wodurch wir den Zugang zu unserem wahren Selbst und zu dem, was uns im Hier und Jetzt zur Verfügung steht, verlieren.

Die Praxis der Achtsamkeit bietet einen tiefgreifenden Ansatz, um dieser Gewohnheit zu entkommen. Achtsamkeit ist mehr als nur ein Zustand der Entspannung oder der kurzfristigen Befreiung von der eigenen Gedankenwelt. Sie ist eine grundlegende Übung, die uns dazu anregt, mit der Erfahrung des gegenwärtigen Moments in Kontakt zu treten. Dabei geht es nicht darum, den Gedankenstrom zu unterdrücken oder zu kontrollieren, sondern ihn vielmehr bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren, ohne in ihn einzutauchen oder ihm zu verfallen. Der Zugang zum gegenwärtigen Moment ermöglicht es uns, die Tiefe unserer eigenen Wahrnehmung zu erleben und die innere Ruhe zu finden, die oft unter der Oberfläche der alltäglichen Gedanken und Sorgen verborgen ist.

Ein zentraler Bestandteil dieser Praxis ist die Fähigkeit, sich vom Druck des „Werdens“ zu befreien. Häufig leben wir mit dem Gefühl, dass wir uns ständig verbessern oder anpassen müssen, um den Erwartungen gerecht zu werden – sei es durch gesellschaftliche Normen, berufliche Anforderungen oder persönliche Ideale. Diese unaufhörliche Anstrengung, sich zu verändern, kann zu einer Form von innerer Anspannung führen, die uns davon abhält, den gegenwärtigen Moment vollständig zu erleben. Anstatt uns auf das zu konzentrieren, was bereits da ist, schieben wir das wahre Erleben immer wieder in die Zukunft. Die Praxis der Achtsamkeit lehrt uns, das „Jetzt“ zu akzeptieren, mit all seinen Unvollkommenheiten und Unsicherheiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den es zu verstehen gilt, ist die Bedeutung der Selbstakzeptanz in diesem Prozess. Achtsamkeit ist nicht nur eine Technik, sondern auch eine Haltung des Mitgefühls gegenüber sich selbst und anderen. Wenn wir uns in einem ständigen Zustand der Unzufriedenheit oder Selbstkritik befinden, kann es schwierig werden, uns wirklich auf den gegenwärtigen Moment einzulassen. Der Zugang zu echter Achtsamkeit setzt voraus, dass wir uns selbst gegenüber freundlich sind und unsere Gedanken und Gefühle ohne Wertung akzeptieren. Dieses Mitgefühl für uns selbst ist der Schlüssel, um die Angst vor der Zukunft und die Last der Vergangenheit zu lösen.

Neben der Achtsamkeit gibt es auch spezifische Übungen, die den Zugang zum gegenwärtigen Moment vertiefen. Eine davon ist die sogenannte „Drei-Minuten-Atemübung“, bei der der Fokus auf dem Atem liegt, um die Achtsamkeit zu schärfen und die Gedanken zur Ruhe zu bringen. In nur drei Minuten können wir lernen, uns selbst wieder zu spüren und die Bedeutung des gegenwärtigen Moments zu erfassen. Diese Technik hat sich als besonders hilfreich erwiesen, um Momente der Stressbewältigung zu finden und in hektischen Situationen Ruhe zu finden.

Es gibt auch die Möglichkeit, sich intensiver mit Ängsten auseinanderzusetzen, die oft die Ursache für unsere Tendenz sind, entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft abzutauchen. Wenn wir uns unseren Ängsten mit Neugier statt mit Vermeidung nähern, können wir einen neuen Zugang zu ihnen finden und uns von ihrer Macht befreien. In der Achtsamkeitspraxis geht es nicht darum, Angst zu beseitigen, sondern sie zu akzeptieren und als Teil des Erlebens zu integrieren, ohne ihr die Kontrolle zu überlassen.

Wichtig ist es auch, dass wir uns bewusst machen, wie sehr unser Leben von der Wahrnehmung der Zeit beeinflusst wird. Der Blick in die Vergangenheit erzeugt häufig Bedauern oder Schuld, während die Gedanken an die Zukunft Angst oder Druck hervorrufen können. Beides führt dazu, dass wir den gegenwärtigen Moment verlieren. Achtsamkeit lehrt uns, das, was jetzt ist, zu erleben und die Bedeutung dieses Moments zu erkennen, ohne ihn mit der Vergangenheit oder Zukunft zu vergleichen.

Es gibt jedoch auch eine tiefere Dimension der Achtsamkeit, die mit der spirituellen Dimension des Menschen in Verbindung steht. Wenn wir wirklich in der Gegenwart sind, ohne uns von den Geschichten der Vergangenheit oder den Projektionen der Zukunft ablenken zu lassen, erfahren wir eine tiefere Form der Verbundenheit mit uns selbst und der Welt um uns herum. Diese Verbundenheit lässt uns nicht nur die Welt anders sehen, sondern gibt uns auch die Möglichkeit, mit mehr Mitgefühl und Klarheit zu handeln.

Neben der Achtsamkeit selbst ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir regelmäßig in unserem Leben Momente der Stille und Reflexion einbauen. Diese Zeiten der Ruhe ermöglichen es uns, uns von den Anforderungen des äußeren Lebens zu distanzieren und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Fähigkeit, bewusst Pausen zu machen und sich selbst Raum zu geben, ist ein essenzieller Bestandteil der Achtsamkeitspraxis.

Wie die Schwimmbad-Metapher hilft, Angst zu überwinden: Eine praktische Anwendung der Expositionstherapie

In der Expositionstherapie wird häufig eine Schwimmbad-Metapher verwendet, um zu verdeutlichen, wie wir mit Angst umgehen können. Diese Metapher hilft vielen Klienten zu verstehen, dass es nicht darum geht, den Unbehagen vollständig zu beseitigen, sondern es zu akzeptieren und damit umzugehen. Ein häufiges Beispiel, das viele Klienten nachvollziehen können, ist der Vergleich mit einem Familienurlaub: Alle wollen ins Hotel-Schwimmbad, aber du fühlst dich unsicher und willst lieber am Liegestuhl bleiben. Du steckst deinen Fuß ins Wasser – es ist kalt. Eigentlich würde es dir viel lieber sein, zuzusehen, wie alle anderen Spaß haben, statt selbst hineinzuspringen. Aber tief im Inneren weißt du, dass es dir besser gehen wird, wenn du dich einfach überwinden und ins Wasser gehen würdest. Anfangs wirst du dich noch schlechter fühlen, als es ohne das Wasser der Fall war. Dies wird als „Extinktions-Burst“ bezeichnet: Die Angst steigt zunächst, bevor sie nachlässt. Doch wenn du die Unannehmlichkeit akzeptierst und dich nicht gegen das kalte Wasser wehrst, kannst du dich auf das konzentrieren, was wirklich zählt – den Moment mit deiner Familie zu genießen.

Die Metapher geht weiter, um die beiden Hauptansätze der Expositionstherapie zu verdeutlichen: Flooding (Fluten) und systematische Desensibilisierung. Flooding, eine Methode, die eher von Kindern bevorzugt wird, bedeutet, sofort ins kalte Wasser zu springen und die anfängliche Unannehmlichkeit zu ertragen. Schnell gewöhnt sich der Körper an das kalte Wasser, und der Spaß beginnt. Auf der anderen Seite bevorzugen einige von uns den langsamen, systematischen Ansatz, indem sie sich schrittweise an die Situation heranwagen – zum Beispiel, indem sie den Fuß langsam ins Wasser setzen, einen Moment warten und dann den anderen Fuß hineinstellen. Dabei ist es wichtig, sich nicht von anderen (wie den Kindern, die ungeduldig ins Wasser springen) stören zu lassen. Beide Methoden sind legitim, aber das entscheidende Element ist immer das gleiche: der Wille, sich der unangenehmen Erfahrung zu stellen. Und genau hier liegt der Schlüssel – wenn du dich dem Unbehagen stellst, anstatt davor davonzulaufen, wird sich das Gefühl der Angst letztlich verringern.

Der größte Fehler, den man machen kann, ist es, immer wieder in und aus dem Wasser zu springen. Dies verstärkt den inneren Kampf und die Vermeidungshaltung, wodurch die Angst nicht abnimmt. Stattdessen konzentrierst du dich immer wieder auf das Unbehagen und verpasst den wahren Fokus deines Lebens. Ein Klient, den ich einmal betreute, sagte nach dem Erklären dieser Metapher, dass sie sich plötzlich wie eine Zuschauerin am Rande des Schwimmbeckens fühlte. Sie hatte ihr ganzes Leben lang das Gefühl, nicht wirklich ins Wasser zu gehen, um sich dem Unbehagen zu stellen. Doch dabei hatte sie das Leben verpasst – sie hatte nur zugesehen, während andere das Leben in vollen Zügen genossen.

Eine solche Erkenntnis ist ein Wendepunkt. Sobald ein Klient die Bereitschaft entwickelt, sich dem Unbehagen aus einem übergeordneten Ziel heraus zu stellen, kann der nächste Schritt darin bestehen, konkrete Verhaltensziele zu formulieren. Ein Beispiel: Ein Klient hat große Angst vor Schmutz, möchte aber Zeit mit seinen Kindern draußen verbringen. Gemeinsam lässt sich dieses Ziel konkretisieren – vielleicht zunächst 10 Minuten draußen stehen und beobachten, wie die Kinder spielen, dann in der nächsten Woche 15 Minuten. Ein weiteres Ziel könnte sein, für zwei Minuten die Hände in den Dreck zu legen. Kleine, konkrete Ziele sind entscheidend, um Fortschritte zu erzielen. Und jedes dieser Ziele wird mit einem gewissen Unbehagen verbunden sein, das jedoch mit den eigenen Werten und Zielen verknüpft werden muss.

Ein weiteres Beispiel ist die externe Vermeidung. Externe Vermeidung bezieht sich auf das Vermeiden von Menschen oder Situationen, die Angst auslösen. Manchmal ist es sinnvoll, bestimmte Dinge zu meiden – etwa wenn man auf einem Hochhausdach steht und plötzlich einen Gedanken hat, sich zu stürzen. In solch einem Fall wird die Angst als Schutzmechanismus wirksam. Doch in anderen Fällen, wie etwa wenn man davor zurückschreckt, mit der Tochter zu einem Schulball zu gehen, weil die Vorstellung, in dieser Situation Angst zu empfinden, unerträglich erscheint, kann Vermeidung die Beziehung gefährden. In solchen Momenten ist es oft sinnvoll, die Angst bewusst zu erleben und dennoch in die Situation einzutreten, da die Bedeutung der Beziehung über der eigenen Angst steht.

Expositionstherapie kann sowohl für die externe als auch für die interne Vermeidung hilfreich sein. Ein Beispiel hierfür ist ein Klient namens Jamie, der unter Zwangsgedanken litt. Jamie hatte oft Gedanken, sich oder anderen Schaden zuzufügen, insbesondere in Situationen, die eine potenzielle Gefahr darstellten, wie etwa der Anblick eines Messers in der Küche. Jedes Mal, wenn diese Gedanken auftauchten, versuchte sie, sie zu unterdrücken, was jedoch nur zu noch mehr negativen Gedanken führte. Im Rahmen der Expositionstherapie ließ ich Jamie mit einem Messer in meinem Büro arbeiten, um die Intensität ihrer Ängste zu verringern und ihr zu zeigen, dass Gedanken nicht zwangsläufig zu Handlungen führen müssen. Schritt für Schritt konnte sie ihre Ängste gegenüber dem Messer und den damit verbundenen Gedanken abbauen.

Für einige Klienten kann auch imaginale Exposition eine praktikable Alternative darstellen. Ein weiteres Beispiel ist Clarice, eine Klientin mit OCD, die Angst hatte, beim Autofahren versehentlich jemanden zu überfahren. Bei jedem kleinen Schlagloch oder jeder Bodenwelle überkam sie die Vorstellung, jemandem Schaden zuzufügen, was immer wieder Angst auslöste. Die Arbeit an dieser Angst umfasste sowohl direkte Expositionen als auch die schrittweise Konfrontation mit ihren Ängsten, um zu zeigen, dass diese Gedanken, so unangenehm sie auch sein mögen, keine Handlungen nach sich ziehen.

In all diesen Fällen zeigt sich, dass der Schlüssel zur Überwindung von Angst nicht darin besteht, sie zu bekämpfen oder zu vermeiden, sondern sich ihr zu stellen. Nur durch die Konfrontation mit der Angst und das Zulassen des Unbehagens können wir lernen, wie wir sie in unser Leben integrieren und trotzdem funktional und wertorientiert leben können.