Im traditionellen Verständnis von internationaler Entwicklung waren es vor allem Staaten und zwischenstaatliche Organisationen (IOs), die die Hauptakteure auf diesem Gebiet darstellten. Besonders der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank wurden als zentrale Institutionen angesehen, die Entwicklungshilfe bereitstellten, um weniger entwickelte Staaten „aufzuholen“ und deren Entwicklung voranzutreiben. Diese Dynamik wurde von Antony Anghie als die „Dynamik der Differenz“ beschrieben, bei der Entwicklung als ein niemals endender Prozess dargestellt wird, der die Kluft zwischen entwickelten und weniger entwickelten Staaten aufrechterhält. In diesem Kontext trat die Weltbank als maßgeblicher Akteur auf, der mit den nationalen Regierungen von Entwicklungsländern Vereinbarungen traf, um massive Entwicklungsprojekte zu finanzieren, die oft eher grandios als praktisch waren.

Doch diese traditionelle Form der Entwicklungszusammenarbeit ist zunehmend in die Kritik geraten. Korruption, Missmanagement und das Versagen von nationalen Institutionen führten zu einer wachsenden Enttäuschung gegenüber den klassischen Entwicklungsmodellen. Der Fokus verlagerte sich zunehmend auf den lokalen Bereich, insbesondere auf Städte und lokale Regierungen. Die Weltbank hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von Projekten direkt mit Stadtverwaltungen umgesetzt, ein Trend, der als Reaktion auf die Ineffizienz der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit verstanden werden kann.

Die Verlagerung auf lokale Akteure wurde als eine Reaktion auf die wiederholten Misserfolge der internationalen Entwicklungsprogramme gesehen. Lokale Regierungen werden als näher an den eigentlichen Adressaten der Entwicklungsmaßnahmen betrachtet. Sie sind mit den spezifischen Bedürfnissen ihrer Bürger besser vertraut und können daher Ressourcen gezielter einsetzen, um diese Bedürfnisse zu decken. Diese Nähe zu den Bürgern fördert nicht nur eine bessere Ressourcenverteilung, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Entwicklungsmaßnahmen. Vertrauen, Wissen und die Annahme, dass lokale Regierungen effizienter und weniger korrupt sind als nationale Regierungen, sind die treibenden Kräfte hinter dieser „lokalen Wende“.

Die Stadt als Akteur in der internationalen Entwicklung ist nicht neu. Schon in den 1990er Jahren wiesen führende Akteure im Bereich der internationalen Entwicklung darauf hin, dass künftige Entwicklungszusammenarbeit stärker auf lokale Regierungen ausgerichtet sein würde. James Wolfensohn, der damalige Präsident der Weltbank, betonte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass die Weltbank ihre Programme nicht mehr nur auf nationale Staaten ausrichten könne, sondern zunehmend auch auf städtische Gebiete und Regionale Ebenen. Die Entwicklung und das Management von Stadtregionen wurde als essentiell für den Erfolg nationaler Entwicklungsziele angesehen.

Dieser Übergang von der nationalen Ebene hin zur lokalen Ebene in der Entwicklungszusammenarbeit ist jedoch nicht unumstritten. Ein wichtiger Aspekt dieser Veränderung ist, dass die Weltbank und andere internationale Organisationen bei der direkten Zusammenarbeit mit Städten auf die Zustimmung der nationalen Regierungen angewiesen sind. Das bedeutet, dass Staaten formal immer noch eine zentrale Rolle spielen, auch wenn lokale Akteure immer mehr ins Zentrum rücken. Ob diese Zusammenarbeit tatsächlich zu einer Verbesserung der Entwicklung führt, bleibt eine offene Frage.

Neben den praktischen Aspekten gibt es auch eine rechtliche Dimension. Die Möglichkeit, dass Städte direkt mit internationalen Organisationen in Kontakt treten, ohne die Zustimmung des Staates zu haben, wird durch rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt. Doch trotz dieser Formalitäten gibt es einen zunehmenden Trend, dass lokale Akteure als zentrale Partner im Bereich der internationalen Entwicklung anerkannt werden.

Die Frage, ob die lokale Ebene tatsächlich effektiver ist als die nationale, bleibt jedoch weiterhin umstritten. Zwar gibt es eine Vielzahl von positiven Beispielen, in denen lokale Regierungen Entwicklungsprojekte erfolgreich umgesetzt haben, doch es gibt auch Fälle, in denen die lokale Ebene versagt hat, insbesondere in Staaten, in denen die zentrale Regierung weiterhin eine starke Kontrolle ausübt.

Die Diskussion um die lokale Ebene in der Entwicklungszusammenarbeit ist nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern auch der Macht. Wer kontrolliert die Ressourcen und wer entscheidet über die Prioritäten? Während lokale Regierungen näher an den Bedürfnissen der Bevölkerung sind, stehen sie häufig unter dem Druck nationaler Interessen, die nicht immer mit den lokalen Bedürfnissen übereinstimmen. Diese Spannungen können dazu führen, dass Entwicklungsprojekte entweder scheitern oder nicht die gewünschten Ergebnisse liefern.

Schließlich wird die Frage aufgeworfen, ob die Verlagerung von der nationalen auf die lokale Ebene tatsächlich eine nachhaltige Lösung darstellt. Während lokale Regierungen in der Lage sind, Programme gezielt und in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung umzusetzen, ist ihre Fähigkeit, langfristige Entwicklungsziele zu erreichen, oft durch begrenzte Ressourcen, politische Instabilität oder fehlende rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt.

Ist ein chinesisches Entwicklungsmodell im Entstehen?

Das internationale Investitionsrecht basiert auf der Annahme, dass ausländische Investitionen unweigerlich zu wirtschaftlicher Entwicklung führen. Diese Annahme ist jedoch fragwürdig, da multinationaler Unternehmen, die Investitionen tätigen, nicht als Wohltäter auftreten, sondern primär auf Gewinne für ihre Aktionäre abzielen. In diesem Prozess kommt es häufig zu Handlungen, die den Volkswirtschaften der Gaststaaten schaden. Es ist daher problematisch, das Recht auf ausländische Investitionen darauf zu gründen, dass diese Investitionen automatisch dem Gastland zugutekommen und daher unbedingt geschützt werden müssen. Diese Annahme ist eine falsche Grundlage für das Investitionsrecht.

In der Vergangenheit verfolgte das internationale Recht primär den Schutz von Menschenrechten, insbesondere dem Schutz der "Person des Ausländers". Die Erweiterung auf Eigentumsrechte, die in vielen modernen Investitionsabkommen zu finden ist, stammt vor allem aus der US-amerikanischen Rechtstradition, deren Einfluss durch die Globalisierung und den Drang multinationaler Unternehmen, die Ressourcen anderer Staaten auszubeuten, weit verbreitet wurde. Dieser hegemoniale Einfluss der USA hat zu einer Umdeutung des ursprünglichen Rechtsbegriffs geführt, wodurch Investoren eine nahezu unverhältnismäßige Stellung innerhalb internationaler Vereinbarungen erhielten. Heute jedoch, mit dem schwindenden Einfluss der USA, könnten auch andere Staaten, sowohl entwickelte als auch sich entwickelnde, ein Interesse daran haben, dieses Paradigma zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.

In diesem Kontext gewinnt Chinas Ansatz zunehmend an Bedeutung. Früher als Kapitalimporteur bekannt, hat China sich mittlerweile zu einem der größten Kapitalexporteure entwickelt. Mit Initiativen wie der "Belt and Road Initiative" (BRI) strebt das Land an, Einfluss auf Entwicklungsländer in Asien, Afrika und sogar Europa zu nehmen. Diese Entwicklungsvorhaben beinhalten massive Investitionen chinesischer Staatsunternehmen, welche durch Kredite und Infrastrukturprojekte finanziert werden. Im Fall von Sri Lanka, zum Beispiel, hat das Hambantota Port-Projekt dazu geführt, dass das Land die Kontrolle über wichtige strategische Einrichtungen an China abtrat, nachdem es aufgrund der hohen Schuldenlast die Finanzierung nicht mehr stemmen konnte.

Chinas Strategie geht jedoch über rein wirtschaftliche Interessen hinaus. Sie beinhaltet eine politische Komponente, die darauf abzielt, autoritäre Modelle der Entwicklung zu exportieren. Ein solches Modell könnte eine neue Welle der Einflussnahme auf die internationalen Investitionsabkommen darstellen, bei denen nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch politische Kontrollmechanismen im Vordergrund stehen. Hierbei werden nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile von Investitionen hervorgehoben, sondern auch das Potenzial, politische und soziale Systeme nach dem chinesischen Vorbild zu gestalten.

Interessanterweise verweist China bei der Förderung seiner Entwicklungsinitiativen oft auf das eigene Modell der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung, das eine große Zahl von Menschen aus der Armut geführt hat. Dabei wird jedoch zugunsten des wirtschaftlichen Wachstums das Konzept der individuellen Freiheiten oft in den Hintergrund gestellt. In einem autoritären System, wie es in China praktiziert wird, spielt die Gewährleistung individueller Rechte eine untergeordnete Rolle, während die kollektiven Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung und der nationalen Interessen Vorrang haben.

Im Gegensatz zu westlichen Demokratien, die den Schutz individueller Freiheiten als unverzichtbaren Bestandteil des Rechtsstaats ansehen, könnte das chinesische Modell in Zukunft eine Herausforderung für die international anerkannten Prinzipien des Investitionsrechts darstellen. Die Frage bleibt, ob solche autoritären Modelle der wirtschaftlichen Entwicklung sich als nachhaltiger und vorteilhafter erweisen werden, oder ob sie langfristig die sozialen und politischen Strukturen der betroffenen Länder destabilisieren könnten.

Neben dieser politischen und wirtschaftlichen Dimension wird auch die Frage nach der Kompetenz und Fairness der internationalen Schiedsgerichte immer wieder aufgeworfen. In einer Vielzahl von Fällen, wie zum Beispiel im Fall Eco Oro gegen Kolumbien, zeigt sich, dass viele Investitionsstreitigkeiten in internationalen Schiedsgerichten von nur wenigen Personen entschieden werden, die nicht immer über das nötige Wissen oder die kulturellen Kenntnisse des betroffenen Landes verfügen. Dies wirft die Frage auf, ob internationale Schiedsgerichte tatsächlich besser geeignet sind, komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen zu lösen, als die nationalen Gerichte der betroffenen Länder, die eine tiefere Verbindung zur lokalen Realität und zu den rechtlichen und politischen Kontexten haben.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Art und Weise, wie das Prinzip der "gerechten und fairen Behandlung" in Investitionsabkommen ausgelegt wird. Oftmals wird es so interpretiert, dass die Rechte ausländischer Investoren übermäßig geschützt werden, was in vielen Fällen zu einer ungleichen Machtverteilung zugunsten multinationaler Unternehmen führt. In einer Welt, in der der Einfluss der westlichen Staaten zurückgeht und aufstrebende Nationen wie China mehr Gewicht gewinnen, könnte es notwendig werden, die Prinzipien des internationalen Investitionsrechts neu zu denken und gegebenenfalls anzupassen, um den Herausforderungen der globalen Wirtschaft und geopolitischen Realitäten gerecht zu werden.

Wie ISEAL Wettbewerb und Glaubwürdigkeit im Bereich der Nachhaltigkeitsstandards legitimiert

ISEAL hat eine zentrale Rolle dabei gespielt, den Wettbewerb unter seinen Mitgliedern zu ermöglichen und zu legitimieren, indem es den sozialen Konsens, der für die Teilnahme an seinen dynamischen Standardsetzungsprozessen erforderlich ist, auf ein Minimum reduziert hat. Die Glaubwürdigkeitsprinzipien von ISEAL bleiben neutral gegenüber dem inhaltlichen Gehalt der Nachhaltigkeitsstandards, die unter seine Zuständigkeit fallen. Anders ausgedrückt: Die Codes von ISEAL schaffen eine Art von Glaubwürdigkeit, die nicht von den substantiellen Inhalten dieser Standards abhängt. ISEAL hat nie ein gemeinsames Verständnis von "echter" Nachhaltigkeit unter seinen Mitgliedern formuliert, sondern behandelt dieses Thema als einen legitimen Wettbewerbsbereich zwischen den Mitgliedern.

Die Organisationsstruktur von ISEAL wird daher oft als eine Vision von Nachhaltigkeit beschrieben, die vor allem prozeduraler Natur ist. Der Wert eines Standards wird nicht nach dem politischen Projekt beurteilt, das er vertritt, oder nach dem Inhalt des Standards selbst. Vielmehr zählen die formalen Qualitäten und die Verfahren, mit denen der Standard umgesetzt wird. Diese Herangehensweise ist ein grundlegender Bestandteil von ISEALs Rolle als private Governance-Struktur, die den Wettbewerb zwischen verschiedenen Nachhaltigkeits- und Fair-Trade-Labels koordiniert und legitimiert.

Ein wesentlicher Aspekt dieser Vorgehensweise ist der Umgang mit Konflikten und Differenzen innerhalb des Systems. ISEAL fördert die Pluralisierung und den Wettbewerb, indem es Mitgliedern die Möglichkeit gibt, neue, "glaubwürdige" Labels zu schaffen und diese in den Markt zu integrieren. Dies geschieht jedoch immer unter der Voraussetzung, dass diese Labels gemeinsame Verfahren und Formen der Zertifizierung, der Rechenschaftspflicht, der Audits und der Evaluierung einhalten. In Situationen, in denen die Mitglieder unterschiedliche Ansichten über den Inhalt von Nachhaltigkeit und Fair Trade vertreten, greift ISEAL nicht direkt ein, sondern fördert die kontinuierliche Konkurrenz und die Entwicklung neuer Lösungen.

Ein gutes Beispiel für diese Haltung war die Frage, ob ISEAL-Mitglieder Produkte zertifizieren dürfen, die Gentechnik (GMO) enthalten. ISEAL entschied, dass das Verbot von GMOs die Natur der Organisation als neutrale Instanz gefährden würde. In ähnlicher Weise verweigerte ISEAL auch die Entscheidung darüber, ob Mitglieder Produkte mit nicht-ökologischen Methoden zertifizieren dürften, was schließlich dazu führte, dass die Organisation IFOAM ausschloss.

Durch diesen Ansatz der "Schließung" können ethische Werte und Fragen der Fairness in technische Verfahren übersetzt werden, die es den Marktakteuren ermöglichen, Glaubwürdigkeit zu kommunizieren. Diese Praxis fördert nicht nur eine Vielzahl von Standards und Ansätzen, sondern stellt sicher, dass diese nicht auf eine einzige, festgelegte Definition von Fairness oder Nachhaltigkeit reduziert werden. Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Standards führt zu einer kontinuierlichen Neubewertung und Anpassung, sodass immer neue Standards entstehen und bestehende ständig hinterfragt werden.

Neben der Förderung des Wettbewerbs stellt ISEAL sicher, dass alle Beteiligten eine gewisse Form der Standardisierung einhalten, insbesondere im Bereich der Überwachung und Evaluation. Hier wird der Eindruck erweckt, dass der soziale Konsens über die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Fair Trade nicht durch verbindliche Vereinbarungen erzielt werden muss. Stattdessen wird er durch kontinuierliche Verfahren und technische Normen geschaffen, die eine objektive, aber prozedurale Bewertung ermöglichen.

In diesem Zusammenhang ist auch der neoliberale Charakter von ISEAL von Bedeutung. Die marktbasierte Governance, die mit Fair-Trade-Labels und den damit verbundenen Zertifizierungs-, Audit- und Überwachungsmechanismen einhergeht, ist ein typisches Beispiel für neoliberale Governance-Techniken. Diese Techniken fördern ein System, in dem es weniger um die Lösung sozialer Fragen und mehr um die Verwaltung und Organisation von Wettbewerb geht. Sie schaffen Marktmechanismen, die die soziale Organisation von Produzenten, Verbrauchern und anderen Akteuren über spezifische Kennzeichnungen und Zertifizierungen hinweg koordinieren.

Die Dynamik, die zur fortwährenden Differenzierung und Ausbreitung von Fair-Trade-Schemata führt, zeigt, wie sich soziale Beziehungen und Governance-Strukturen im Rahmen neoliberaler Märkte umgestalten. Die Akteure in diesen Systemen sind keine stabilen Gemeinschaften, die durch ein gemeinsames Wertegerüst verbunden sind. Vielmehr handelt es sich um lose verbundene und skalierbare soziale Gruppen, die sich ständig verändern und konkurrieren. Diese Gruppen können sich flexibel mit anderen Akteuren, insbesondere mit Unternehmen, zusammenschließen, was den Wettbewerb weiter verstärkt und neue Verhandlungsräume schafft.

Schließlich zeigt sich, dass die neoliberale Governance nicht darauf abzielt, einen einzigen Wertmaßstab durchzusetzen, sondern vielmehr ein fortlaufendes Aushandeln und Wettbewerben von Werten zu ermöglichen. So wird durch die Minimierung des sozialen Konsenses und die Betonung von prozeduralen Normen ein dynamisches, wettbewerbsorientiertes Umfeld geschaffen, das ständig in Bewegung bleibt.

Wie die Finanzialisierung die Entwicklungspolitik und die SDGs beeinflusst hat

Die Einführung von Basel II durch den BCBS (Basel Committee on Banking Supervision) markierte einen entscheidenden Schritt in der Umgestaltung der internationalen Finanzregulierung. Das neue Kapitaladäquanzrahmenwerk, inspiriert durch die Theorie der effizienten Kapitalmärkte (ECMH), förderte ein System von Offenlegungsregimen, das auf der Marktdisziplin als Form der mikroprudentiellen Selbstregulierung durch große Banken basierte. In diesem Kontext gewannen die Credit Rating Agencies (CRAs) noch mehr Einfluss bei der Einschätzung des Risikos bestimmter Anlageklassen. Der darauffolgende Kreditboom war ein Höhepunkt der Finanzialisierung, angetrieben von unregulierten Marktinnovationen im Bereich komplexer, spekulativer, verbriefter Finanzprodukte. Diese Instrumente, deren zugrunde liegende Technologien oft undurchsichtig waren und außerbörslich gehandelt wurden, verbanden nationale Volkswirtschaften und erhöhten so das systemische Risiko.

Besonders wichtig war, dass nationale Gesetzgeber die Regulierung dieser komplexen Finanzinstrumente den Marktakteuren überließen, insbesondere den International Swaps and Derivatives Association (ISDA) und den CRAs. Jahre später wurde klar, dass diese marktbasierten Regulierungsansätze die Risikobereitschaft der Finanzinstitute nicht eindämmen konnten, was zur Insolvenz global vernetzter, „too big to fail“-Institutionen wie Lehman Brothers und AIG führte und das systemische Risiko weltweit durch offene Derivategeschäfte verbreitete.

Die Finanzialisierung, die durch diese Entwicklung vorangetrieben wurde, hat die Rolle der Finanzmärkte erheblich verstärkt. Diese Märkte sind geografisch gewachsen und haben sich zunehmend in den Globalen Süden ausgedehnt. Ihr Anteil am nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie ihre Bedeutung für die Realwirtschaft sind deutlich gestiegen. Darüber hinaus wurde der politische und ideologische Einfluss des Finanzsektors weiter verfestigt. Nach der globalen Finanzkrise von 2008 und den darauf folgenden Austeritätspolitiken der Staaten haben die Finanzmärkte ihre Rolle in der Entwicklung des Globalen Südens weiter gefestigt.

Ein zentraler Wendepunkt in diesem Prozess war die Einführung der Strategie „Maximizing Finance for Development“ (MFD) im Jahr 2015 durch die multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs), unter Führung der Weltbank. Diese Strategie betrachtete internationale Entwicklungsinterventionen als Investitionsmöglichkeiten für globale Finanzströme und verschob den Fokus von traditioneller staatlicher Hilfe hin zu privaten Finanzströmen. Ziel war es, ausländische Entwicklungshilfe (ODA) zu nutzen, um private Investoren in die Entwicklungsprozesse einzubinden. Dies wurde als eine Möglichkeit präsentiert, mehr und bessere Investitionen zu erzielen, indem die Profitinteressen des privaten Sektors mit Entwicklungszielen in Einklang gebracht werden, unterstützt durch innovative rechtliche, regulatorische und institutionelle Arrangements.

Die Kombination von ODA-Mitteln und privatem Kapital für Entwicklungsprojekte wurde als „blended finance“ bezeichnet. Diese Privatisierung des Entwicklungsprozesses unter MFD beinhaltete zwei wesentliche Prozesse. Zum einen setzten Staaten im Globalen Süden und multinationale Entwicklungsbanken gesetzliche und regulatorische Reformen um, die finanzielle Deregulierung beinhalteten und die Rechte der Investoren in nationalen Gerichten sowie in internationalen Schiedsverfahren stärkten, um ein investorenfreundliches Klima zu schaffen. Zum anderen wurde das Risiko für private Investoren durch staatliche Garantien und gemischte Finanzierungsmodelle wie öffentlich-private Partnerschaften (PPPs) und die Verbriefung von Infrastrukturprojekten gesenkt, um diese in handelbare Vermögenswerte umzuwandeln.

De-Risking, ein weiteres zentrales Element dieser Strategie, beinhaltete auch die Einführung innovativer marktbasierter Finanzierungsmodelle, wie z.B. Entwicklungsimpact-Anleihen, die soziale und ökologische Ziele mit den finanziellen Erträgen privater Investoren verknüpften. Diese Entwicklungen führten dazu, dass der Schattenbankensektor, der Finanzaktivitäten außerhalb des regulierten Bankensektors umfasst, eine zunehmend wichtige Rolle im Entwicklungsprozess des Globalen Südens einnahm. Dies hatte jedoch erhebliche negative Auswirkungen auf die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) in mindestens vier Bereichen.

Erstens wurde MFD zu einem legitimierenden Rahmen für die zunehmende Finanzialisierung des Entwicklungsprozesses. Die Bedürfnisse der Finanzmärkte wurden stärker in den Vordergrund gerückt als in früheren neoliberalen Entwicklungsansätzen. So wurde blended finance vor allem von finanziell nachhaltigen Sektoren und Ländern, wie etwa dem Infrastruktur- und Finanzsektor, sowie von Mittelschichtländern statt von ärmeren Ländern und sozialen Projekten bevorzugt, bei denen zusätzliche Mittel erforderlich wären. Tatsächlich gelang es bis 2019 nicht, die erwarteten Milliarden in private Finanzströme zu mobilisieren – jedes Dollar an ODA mobilisierte im Durchschnitt nur 0,75 Dollar an privatem Kapital für Entwicklungsländer.

Zweitens führte MFD zu einer verstärkten Abhängigkeit von marktgetriebenen Ansätzen, bei denen die Interessen des Finanzmarktes und nicht die Bedürfnisse der ärmsten Länder und der sozialen Infrastruktur im Mittelpunkt standen. Dies begünstigte eine Finanzialisierung der Entwicklungsstrategie, die nicht unbedingt mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung in Einklang stand.

Drittens wurde der Entwicklungsprozess zunehmend durch den Finanzsektor bestimmt, der über innovative Finanzierungsmodelle und Marktmechanismen den Zugang zu Entwicklungsressourcen für die ärmsten Länder und Sektoren erschwerte. Dies führte dazu, dass die Vorteile der Finanzialisierung in erster Linie den privaten Investoren zugutekamen, während die Gesellschaften im Globalen Süden oft mit den negativen Folgen von marktgetriebenen Entwicklungsstrategien konfrontiert waren.

Abschließend lässt sich sagen, dass der Finanzialisierungsprozess, der mit der Einführung von MFD und blended finance einherging, die Entwicklungslandschaft des Globalen Südens nachhaltig verändert hat. Er hat die Macht der Finanzmärkte weiter gestärkt und dabei die Rolle der traditionellen Entwicklungshilfe in den Hintergrund gestellt. Die Auswirkungen dieses Prozesses sind in vielerlei Hinsicht noch nicht vollständig erfasst und bleiben eine Herausforderung für die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele.