Die Problematik der politischen Einflussnahme durch private Stiftungen ist von zunehmender Bedeutung, besonders in Ländern, in denen das Spendenverhalten von politischen Parteien und die von ihnen erhaltenen Gelder reglementiert sind. Hier jedoch genießen Stiftungen eine nahezu uneingeschränkte Freiheit, Spenden zu empfangen und auszugeben, ohne dass dies die politische Landschaft wesentlich beeinflussen zu scheinen. Diese Unreguliertheit macht das Thema besonders brisant, da es den Eindruck erweckt, als ob große Stiftungen keinen Einfluss auf den Wahlprozess und politische Entscheidungen hätten. Doch dieser Eindruck ist trügerisch.

Ein Euro mehr auf der Seite des Geldes kann das Kräfteverhältnis bei politischen Entscheidungen maßgeblich verschieben. Hinter der Fassade von wohltätigem Engagement und großzügiger Unterstützung verbirgt sich häufig eine Vielzahl von Steuervermeidungsstrategien, die den öffentlichen Haushalt belasten und private Interessen fördern. In vielen Fällen wird öffentliches Geld genutzt, um private Vorhaben zu finanzieren. Und was noch problematischer ist: Diese Praktiken finden in der Gesellschaft meist großen Zuspruch, ohne dass sich viele der daraus resultierenden Ungerechtigkeiten bewusst sind.

Ein herausragendes Beispiel für diesen Missbrauch öffentlicher Gelder lässt sich in Frankreich finden. Ministerin Muriel Pénicaud hat, obwohl sie eine wichtige politische Figur und ehemalige Managerin bei Danone war, nicht nur die politische Landschaft beeinflusst, sondern auch eine Stiftung ins Leben gerufen: den Fonds Sakura. Dieser Fonds sollte eigentlich öffentliche Interessen fördern, doch in Wahrheit hat Pénicaud eine große Summe von 670.000 Euro eingezahlt und sich damit nicht nur Steuervorteile gesichert, sondern auch ihre eigenen künstlerischen Ambitionen durch diesen Umweg finanziert. Dank der Steuervergünstigungen konnte sie über 442.000 Euro an Steuern sparen, indem sie ihr eigenes künstlerisches Werk in einem privaten Kontext ausstellte. Zwar ist dieser Missbrauch von öffentlichem Geld legal, aber er wirft die Frage auf, wie ein System so gestaltet sein kann, dass es den Reichen ermöglicht, den Staat dazu zu bringen, einen erheblichen Teil ihrer privaten Kunstvorhaben zu finanzieren – ein System, das jedoch nicht für andere gesellschaftliche Gruppen zugänglich ist, wie etwa für Medien.

Noch problematischer wird es, wenn man die Steuerpolitik betrachtet, die von Regierungen betrieben wird. Ein Beispiel aus Frankreich zeigt, wie Emmanuel Macron 2017 die Solidaritätssteuer auf Reichtum (ISF) abschaffte, was die reichsten Bürger weiter begünstigte. Diese Steuererleichterung führte jedoch nicht zu einem Anstieg der privaten Spenden, wie es von manchen erwartet worden wäre. Tatsächlich nahmen die Spenden in vielen Fällen ab. Das Paradox hier ist, dass die Reichen nicht aus Altruismus spenden, sondern vor allem, um Steuervorteile zu erhalten. Wenn diese Steuervergünstigungen jedoch wegfallen, entfällt auch der Anreiz zu spenden.

In den Vereinigten Staaten ist die Situation nicht viel besser. Hier erlaubt das Steuerrecht, dass wohlhabende Einzelpersonen und Unternehmen enorme Steuervergünstigungen erhalten, wenn sie Geld an gemeinnützige Organisationen spenden. In einer vergleichbaren Situation könnte eine wohlhabende Unternehmerin, die über ein Einkommen von mehr als einer Million Dollar verfügt, eine Spende von 100.000 Dollar an eine Wohltätigkeitsorganisation leisten und dafür 37.000 Dollar Steuern sparen. Für die ärmeren Mitglieder der Gesellschaft, die mit einem niedrigeren Einkommen und einer höheren Steuerlast konfrontiert sind, bleibt der Zugang zu diesen Vorteilen jedoch weitgehend verschlossen. So zahlt der Millionär wesentlich weniger für seine Spende, während der Durchschnittsverdiener deutlich mehr aus eigener Tasche beisteuern muss, um eine ähnliche Wirkung zu erzielen.

Dieser Steuermechanismus trägt zur Verfestigung sozialer Ungleichheit bei. Die Steuervergünstigungen, die mit Spenden an Stiftungen und politische Organisationen verbunden sind, profitieren überwiegend die Reichen und Machtvollen. Sie verstärken die Kluft zwischen den sozialen Klassen und machen das System insgesamt ungerechter.

Zusätzlich zu den bekannten Steuervergünstigungen, die in den USA und anderen Ländern mit ähnlichen Systemen existieren, gibt es auch unzählige weitere Möglichkeiten, durch die wohlhabende Individuen ihre Macht und ihren Einfluss ausbauen können. In den USA können Stiftungen auch in Wahlkämpfe eingreifen, was politische Entscheidungsprozesse weiter verzerrt und die Demokratie in ihrer ursprünglichen Form untergräbt.

Es ist daher dringend notwendig, dass diese Systeme reformiert werden, um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen und Einfluss zu gewährleisten. Der Missbrauch öffentlicher Mittel für private Zwecke muss eingedämmt und transparente Regularien geschaffen werden, die sicherstellen, dass Spenden an Stiftungen tatsächlich den gemeinnützigen Zwecken dienen und nicht in erster Linie den steuerlichen Interessen der Reichen und Mächtigen. Nur so kann eine faire und gerechte Gesellschaft erhalten bleiben, die nicht von den finanziellen Interessen einer kleinen Elite beherrscht wird.

Wie die Finanzierung von Wahlen die Demokratie verfälscht: Über die Illusion der Bürgerbeteiligung

In der Diskussion um die Reform der Demokratie wird häufig die direkte Demokratie als eine Lösung angesehen, um den Bürgern mehr Einfluss auf politische Entscheidungen zu ermöglichen. Volksinitiativen und Referenden sollen den Menschen eine Möglichkeit geben, ihre Stimme zwischen den Wahlen zu erheben und ihre politischen Präferenzen auszudrücken. Doch diese vermeintliche Freiheit wird von einem wichtigen Problem überschattet, das kaum Beachtung findet: der Einfluss von Wahlkampffinanzierungen.

Die Wahlbeteiligung bei Volksinitiativen, wie sie etwa in Kalifornien durchgeführt wurde, zeigt klar, wie finanzielle Mittel die politische Landschaft verzerren. Im Jahr 2003 wurde der kalifornische Gouverneur Gray Davis durch ein „Recall“-Verfahren abgesetzt – doch wer war der Initiator dieser Bewegung? Es war nicht ein gewöhnlicher Bürger, der von einer Unzufriedenheit mit der Regierung getrieben wurde, sondern ein wohlhabender Geschäftsmann und Politiker, Darrell Issa, der Millionen von Dollar ausgab, um die erforderlichen Unterschriften zu sammeln. Das Ergebnis war eine Wahl, die von einem Multimillionär manipuliert wurde, der mit dem Ziel antrat, das politische System Kaliforniens zugunsten der Republikaner zu beeinflussen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der Zugang zu politischer Macht durch finanzielle Ressourcen bestimmt wird – nicht durch den Willen der Bürger.

Dies ist jedoch nicht nur ein isolierter Fall. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Wahlkampffinanzierungen einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit haben, dass eine Volksinitiative erfolgreich ist. In Kalifornien etwa, von 1976 bis 2004, konnte eine erhöhte finanzielle Unterstützung für eine Bürgerinitiative die Erfolgschancen um ein Vielfaches steigern. Die Demokratie wird in solchen Fällen nicht mehr von den Wählern, sondern von den wohlhabenden Geldgebern bestimmt, die den Ausgang der Wahl beeinflussen können.

Diese verzerrte Realität wird noch problematischer, wenn wir uns vor Augen führen, dass Volksinitiativen zwar als Instrument der direkten Demokratie gefeiert werden, jedoch nicht das wahre Problem des „Repräsentationsdefizits“ lösen. Solange die Finanzierung von Wahlkämpfen nicht reformiert wird, bleiben Volksinitiativen ein Spielball der Reichen. Die Bürger können ihre Meinung äußern und mehrmals wählen gehen, doch die entscheidende Frage – wer die Mittel hat, die politische Agenda zu beeinflussen – bleibt unbeantwortet.

Nicht weniger problematisch sind die Vorschläge zur Reform der Wahlsysteme, die immer wieder diskutiert werden. Tatsächlich wäre eine stärkere proportional-repräsentative Wahlordnung in vielen Ländern wie Großbritannien oder Frankreich sinnvoll. Auch alternative Wahlsysteme, wie die Borda-Methode, bei der Wähler alle Optionen nach Präferenz ordnen, könnten die politische Partizipation fördern und die Polarisierung verringern. Doch diese Diskussion darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das wahre Problem – die Finanzierbarkeit von Wahlkampagnen – noch nicht gelöst ist. Solange Wahlkämpfe von den Reichen finanziert werden, bleibt jede noch so gut durchdachte Reform in der Gefahr, von den gleichen Kräften ergriffen und instrumentalisiert zu werden.

Ein weiterer Ansatz zur Reform der Demokratie, der in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die zufällige Auswahl von Politikern. Warum nicht die Wahl von Abgeordneten durch ein zufälliges Losverfahren ersetzen? Ein System, bei dem Bürger zufällig ausgewählt werden, um das Parlament zu bilden, könnte eine Lösung für das Problem der politischen Dominanz durch die Reichen darstellen. In Island wurde zwischen 2010 und 2013 ein solches Experiment durchgeführt: Ein zufällig ausgewähltes Gremium von 950 Bürgern formulierte die Prinzipien einer neuen Verfassung, und eine Gruppe von 25 Bürgern sollte den endgültigen Entwurf erstellen. Obwohl die neue Verfassung letztlich nicht angenommen wurde, zeigte die Studie von Hélène Landemore, dass der von Bürgern entworfene Verfassungsentwurf „besser, klüger und liberaler“ war als der der Regierungsexperten.

Landemore hat die Theorie der „kollektiven Intelligenz“ entwickelt, die besagt, dass die Weisheit einer Gruppe immer größer ist als die Summe des individuellen Wissens ihrer Mitglieder. Die Vielfalt der Perspektiven und Erfahrungen, die durch zufällig ausgewählte Bürger eingebracht wird, fördert nicht nur das Verständnis komplexer politischer Probleme, sondern auch die Entstehung besserer Lösungen. Anders als in traditionellen Wahlsystemen, bei denen oft nur die Elite und gut finanzierte Kandidaten an die Spitze kommen, würde ein System der zufälligen Auswahl den politischen Entscheidungsprozess demokratisieren und von den Fesseln der Wahlkampfspenden befreien.

Experimente zur kollektiven Intelligenz, wie sie von James Fishkin und anderen durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass Bürger, die in einem deliberativen Rahmen diskutieren, ihre Ansichten ändern und zu besseren Entscheidungen kommen können. Diese sogenannten „deliberativen Wahlen“ fördern nicht nur das Verständnis für die Vielfalt an Meinungen, sondern schaffen auch eine Atmosphäre, in der Entscheidungen nicht von wenigen, sondern von einer breiten gesellschaftlichen Basis getroffen werden.

Doch bei all diesen Vorschlägen und Modellen darf nie vergessen werden, dass die grundsätzliche Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie die Beseitigung der Einflussnahme von Geld ist. Ohne die Lösung des Problems der Wahlkampffinanzierung bleibt die Demokratie eine Illusion. Egal wie demokratisch die Struktur des Wahlsystems auch sein mag, die Macht der Reichen, die Wahlkämpfe zu dominieren, verhindert echte politische Repräsentation. Ein System, das es den Bürgern ermöglicht, an politischen Entscheidungen teilzunehmen, muss daher nicht nur die Prozesse der Wahl und Abstimmung reformieren, sondern auch die Finanzierung dieser Prozesse kritisch hinterfragen.

Was bedeutet der Rückgang der Gewerkschaften für die politische und soziale Repräsentation der Arbeiter?

Der Rückgang der Gewerkschaften hat weitreichende Konsequenzen für die politische und soziale Repräsentation der Arbeiterbewegung, nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen anderen Ländern. Bis in die Mitte der 1980er Jahre hinein hatten die Gewerkschaften in Großbritannien eine enge Bindung an die Labour Party, die historisch als politische Vertretung der Arbeiterbewegung entstand. Die Gewerkschaften zahlten regelmäßig Beiträge, um die Partei zu unterstützen, und die Arbeiter fanden sich zahlreich in den parlamentarischen Reihen wieder. Doch die politisch motivierten Maßnahmen von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren, die darauf abzielten, die Gewerkschaften finanziell zu schwächen, trugen dazu bei, dass ihre politische Macht und Präsenz in der Partei merklich schrumpfte. Ab den späten 1980er Jahren wuchsen private Spenden an die Labour Party signifikant an, was einen wichtigen finanziellen Rückgang der Gewerkschaftszahlungen zur Folge hatte. Während bis Mitte der 1980er Jahre noch weniger als 10 Prozent der Parteifinanzierung aus privaten Spenden stammten, machten diese bis 2017 mehr als die Hälfte der Einnahmen aus.

Dieser Wandel setzte sich mit dem Aufstieg der New Labour-Bewegung unter Tony Blair fort, die zunehmend die Unterstützung von Großspendern aus der Industrie suchte. Besonders auffällig war die Unterstützung des Industriellen Lakshmi Mittal, der nicht nur mit großzügigen Spenden zur Partei beitrug, sondern auch politischen Einfluss nahm. Dies verdeutlicht eine grundlegende Entwicklung: Die Gewerkschaften, als finanzielle Grundlage für die politische Repräsentation der Arbeiter, haben zunehmend an Bedeutung verloren. Der Rückgang der Gewerkschaften führte zu einer merklichen Abnahme der Arbeiterrepräsentation im britischen Parlament, ein Problem, das inzwischen auch in anderen westlichen Demokratien wie der französischen Nationalversammlung sichtbar ist.

In den USA ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Dort haben sogenannte „Right-to-Work“-Gesetze, die die Pflicht zur Gewerkschaftsmitgliedschaft aufheben, seit den 1940er Jahren die Finanzkraft der Gewerkschaften erheblich verringert. Diese Gesetze erlauben es den Arbeitern, von den Vorteilen der Tarifverhandlungen zu profitieren, ohne Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Dies hat nicht nur die Finanzbasis der Gewerkschaften geschwächt, sondern auch die politische Stellung der Demokraten beeinflusst, die traditionell auf die Unterstützung der Gewerkschaften angewiesen waren. Studien zeigen, dass diese Schwächung der Gewerkschaften zu einem Rückgang der Wahlergebnisse der Demokraten führte, da die Partei die finanziellen Einbußen nicht durch andere Spendenquellen ausgleichen konnte.

Die politische Schwächung der Gewerkschaften hat jedoch nicht nur negative Auswirkungen auf die Parteien der Linken, sondern gefährdet auch den sozialen Fortschritt. Die Arbeiterbewegung war historisch der Hauptmotor für soziale Reformen. In Skandinavien etwa, wo das Sozialstaatmodell maßgeblich von den Gewerkschaften getragen wurde, sind die positiven Effekte dieser Bewegung unübersehbar. In Ländern wie Schweden entstanden soziale Schutzsysteme, die die Lebensqualität breiter Bevölkerungsschichten verbesserten. In Deutschland ermöglicht das Mitbestimmungsgesetz den Beschäftigten, auf Unternehmensebene mit den Eigentümern gleichberechtigt Entscheidungen zu treffen. Auch hier sind Gewerkschaften ein essenzieller Bestandteil des sozialen Dialogs und der politischen Mitbestimmung. Das Fehlen solcher Mechanismen in Ländern wie den USA und Frankreich führt zu einer geringeren sozialen Sicherheit und größeren Einkommensungleichgewichten.

Die Rolle der Gewerkschaften in den USA, obwohl weniger zentral als in Europa, war über Jahrzehnten hinweg nicht unbedeutend. Der Einfluss der Arbeiterbewegung zeigte sich in einer Vielzahl von sozialen Maßnahmen, wie höheren Sozialausgaben und fortschrittlicheren Steuerpolitiken in Staaten mit höherer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Ein bedeutender Faktor für die soziale Wohlfahrt war weniger die politische Zugehörigkeit der regierenden Parteien, sondern vielmehr die Stärke der Gewerkschaften und ihrer Fähigkeit, die Interessen der Arbeiter in die politische Agenda einzubringen.

Wenn man die politische Situation der letzten Jahrzehnten betrachtet, wird deutlich, dass sowohl die rechte als auch die linke politische Klasse zunehmend den privaten Interessen und den am meisten privilegierten Schichten der Gesellschaft dienen. Gewerkschaften jedoch haben die Funktion, nicht nur die unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, sondern auch die breiteren sozialen und politischen Interessen der benachteiligten Gruppen. Ihr Rückzug aus dem politischen Prozess hat zu einer erheblichen Schwächung der sozialen Repräsentation geführt und könnte langfristig die sozialen Fortschritte, die durch die Arbeiterbewegung erreicht wurden, gefährden. Der Fokus auf private Finanzierungsquellen und das zunehmende Fehlen von Arbeitnehmervertretung in politischen Institutionen werfen die Frage auf, wie die soziale Gerechtigkeit und die politische Repräsentation der Arbeiter in Zukunft gesichert werden können.

Warum eine gemischte Versammlung eine Revolution für die Demokratie darstellt

Die Mitglieder einer gemischten Versammlung sind keineswegs immer besser qualifiziert oder besser informiert, um einen geplanten Reformvorschlag zu überprüfen. Dennoch eröffnen sie einen entscheidenden Vorteil: Sie sind mehr wie gewöhnliche Bürger und können so wahrscheinlich bessere Entscheidungen treffen. In Ländern wie Frankreich machen Arbeiterbürger etwa 50 Prozent der aktiven Bevölkerung aus. Mit der Reform, die hier vorgeschlagen wird, stellen sie zwar nicht 50 Prozent des Parlaments, aber sie werden mindestens 50 Prozent der „sozialen Vertreter“ ausmachen, also der ein Drittel der Parlamentarier, die auf sozialen Paritätslisten durch Verhältniswahl gewählt werden. Das ist bereits ein Schritt in eine radikal andere Richtung im Vergleich zur derzeitigen Situation. Diese Reform könnte weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik haben, die von der Regierung verfolgt wird.

Ein weiterer wahrscheinlicher Effekt dieser Reform ist eine Stärkung der Gewerkschaften und damit der politischen Vertretung der Arbeiterklasse. Nicholas Carnes hat gezeigt, dass der Zusammenbruch der ohnehin schwachen Präsenz der Arbeiter in den amerikanischen Legislaturen mit dem Niedergang der Gewerkschaften zusammenfällt. Wenn Gewerkschaften eng mit politischen Parteien verbunden sind, stellt das Amt des Gewerkschaftsvertreters einen möglichen Karriereweg für Arbeiter dar. Dieser Weg ist schmal, aber er existiert zumindest; wenn die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften jedoch sehr gering ist, scheint auch der Weg zur politischen Vertretung verschlossen.

Es stellt sich jedoch die Frage, warum Politiker unbedingt Menschen aus unserem eigenen sozialen Umfeld sein müssen. Warum muss auf ethnische, geschlechtliche, soziale oder andere Arten der Diversität in der Politik bestanden werden, wenn diese Diversität angeblich keinen Einfluss auf die Entscheidungen hat? Die Realität zeigt, dass diese Diversität einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen hat, wie Nicholas Carnes und andere in den Vereinigten Staaten belegt haben. Sie zeigen, dass gewählte Vertreter in Übereinstimmung mit ihren beruflichen (und sozialen) Ursprüngen abstimmen. Dies ist nicht überraschend, sondern entspricht der Praxis, dass Politiker ihre eigenen Interessen vertreten, die meist die Interessen der sozial und ökonomisch privilegierten Gruppen widerspiegeln. Ein Beispiel für diese Form der politischen Heuchelei findet sich bei den Philanthropen von Silicon Valley, die sich öffentlich gegen hohe Steuern aussprechen, aber gleichzeitig für ihre „spontane Großzügigkeit“ gefeiert werden möchten. Diese Vertreter sprechen zwar oft das „öffentliche Interesse“ an, doch in Wirklichkeit setzen sie sich gegen die Interessen der Arbeiter und der breiten Masse der Bevölkerung ein.

Wenn die Stimme der Arbeiter gehört und ihre Interessen vertreten werden sollen, müssen diejenigen in das Parlament einziehen, die selbst Arbeiter sind und auch nach ihrer politischen Karriere weiterhin als Arbeiter leben. Carnes zeigt, dass die Unterstützung für die Steuersenkungen von George W. Bush im US-Kongress von 62 Prozent auf 28 Prozent gesenkt worden wäre, wenn die Arbeiter in diesem Kongress einen größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung gehabt hätten. Eine solche Reform hätte eine drastische Umverteilung von Wohlstand vermieden.

Der beste Weg, um sicherzustellen, dass die Interessen der Mehrheit berücksichtigt werden, ist die Einführung einer größeren sozialen Vielfalt unter den Menschen, die uns vertreten. Genau darum geht es in meinem Vorschlag, eine soziale Dimension in die nationale Versammlung einzubauen. Wenn man den sozialen Ursprung von Parlamentariern berücksichtigt, wird schnell klar, dass auch die Geschlechterfrage eine Rolle spielt. Wenn es so wichtig ist, eine Männer-Frauen-Parität in der Politik zu erreichen, dann liegt dies nicht nur im Interesse der Geschlechtergleichstellung, sondern auch in der Art und Weise, wie politische Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Beispielsweise gewinnen Gesetzentwürfe, die von Frauen im US-Kongress eingebracht werden, im Durchschnitt mehr Unterstützer als solche von Männern, und auch bei republikanischen Kongressabgeordneten haben Gesetze von Frauen eine höhere Chance, parteiübergreifend unterstützt zu werden.

In Indien haben Raghabendra Chattopadhyay und Esther Duflo gezeigt, dass Kommunalverwaltungen, die von Frauen geführt werden, mehr in öffentliche Investitionen, insbesondere in die Trinkwasserversorgung, investieren. Das indische Beispiel ist besonders interessant, da es ein System von Reservierungsmandaten für bestimmte diskriminierte Gruppen („Dalits“) beinhaltet. Dieses System garantiert den Zugang dieser Gruppen zu politischen Ämtern und hat in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass gesellschaftliche Ungleichheiten wenigstens partiell abgefedert wurden.

Ein solcher Mechanismus, wie er in Indien existiert, ist auch für westliche Demokratien von Interesse, auch wenn er dort in einer anderen Form Anwendung finden würde. Die Einführung sozial gemischter Wahllisten, anstatt spezieller Wahlkreise für bestimmte benachteiligte Gruppen, könnte eine Lösung für die politische Vertretung der Arbeiterklasse in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten bieten. Es ist jedoch falsch anzunehmen, dass soziale Exklusion in reichen Ländern nicht existiert oder dass wir keine Lehren aus der indischen Demokratie ziehen können. Indien hat in den letzten Jahrzehnten intensiv daran gearbeitet, die Auswirkungen extrem sozialer Ungleichheit durch rechtliche Maßnahmen zu bekämpfen. Wir sollten uns nicht davor scheuen, ebenfalls innovative Wege zu gehen, um unsere demokratischen Institutionen zu reformieren.

Eine gemischte Versammlung, die eine größere soziale Parität umfasst, würde nicht nur die Vertreter näher an die Bürger heranführen, sondern auch sicherstellen, dass die politischen Entscheidungen mehr im Einklang mit den Interessen der breiten Bevölkerung stehen. Eine solche Reform könnte dazu beitragen, das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen und den Bürgern zu zeigen, dass ihre Stimme zählt. Heute empfinden viele Bürger Resignation gegenüber Politik und Politikern, doch eine sozial revitalisierte Politik würde auch die Wähler wieder zu den Wahllokalen bringen. Diese Entwicklung würde auch dazu beitragen, die öffentliche Finanzierung von Wahlen gerecht zu gestalten. Es ist entscheidend, dass diese Finanzierung gleichmäßig verteilt wird, sodass keine Person mehr Einfluss auf die Wahlprozesse hat als der durchschnittliche Bürger. Demokratie muss neu definiert werden – als „eine Person, eine Stimme“.