Die P-d-Kurve (Last-Verschiebungs-Kurve) oder P-V-Kurve (Last-Risszentrum-Öffnungsverschiebungskurve), die in Abbildung 2.9 gezeigt wird, stellt eine sehr nützliche Methode dar, um das Verhalten von Materialien unter zyklischen Lasten zu analysieren, unabhängig von der konstitutiven Gleichung (Spannungs-Dehnungs-Beziehung). Diese Methode hat den Vorteil, dass die Parameter P und d genau und leicht mit standardisierten Ermüdungstests gemessen werden können. Auch wenn diese Methode nicht direkt zur Bewertung des J-Integrals bei Kriechermüdung (DJC) angewendet werden kann, lässt sich ein ähnlicher grafischer Ansatz auf Grundlage der Gleichung (3.15) entwickeln.

Im Fall der zyklischen Kriechdehnung, die durch eine rechteckige Spannungswellenform dargestellt wird, wie in Abbildung 7.4(a) zu sehen ist, tritt elastoplastische Dehnung nur während der schnellen Lastanstiegsphase auf, während die Kriechdehnung nur während der Spannungs-Haltephase auftritt. Um das DJC zu evaluieren, kann der Bereich Sc im P-d (oder P-V) Hystereseschleifenbereich genutzt werden. Das DJC wird durch die Integration der Gleichung (3.15) bestimmt, die das Verhältnis der netten Kriechspannungen und der Kriechgeschwindigkeit berücksichtigt.

Eine ähnliche Methodik lässt sich auch für die Lastreduktion (Entspannung) unter Kriechen anwenden. Wenn die Last langsam reduziert wird, z. B. bei einer Spannungsentspannung während der Dehnungs-Haltephase, steigt die Kriechdehnung. Der Bereich Sc im Hystereseschleifenbild (Abbildung 7.4(b)) wird dann verwendet, um das DJC zu berechnen, wobei die Unterschiede zwischen der kontinuierlichen und der schnellen Entlastung berücksichtigt werden. In diesem Fall basiert die Berechnung auf der Differenz in der Kriechverschiebung V, die sich während der Entlastungsphase und der schnellen Entlastung ergibt.

Wenn sowohl elastoplastische Deformation (Vp + Ve) als auch Kriechdeformation (Vc) gleichzeitig auftreten, wie es in der praktischen Analyse von Materialien bei hoher Temperatur der Fall ist, kann das DJC durch die Anwendung der Strain-Partitionierungsmethode getrennt bewertet werden. Diese Methode, die erstmals von Halford et al. (1973) vorgeschlagen wurde, trennt die elastoplastische und die Kriechdeformation. Dabei wird während der kontinuierlichen Ermüdungszyklen ein schneller Dehnungszyklus eingefügt, wie in Abbildung 7.4(c) gezeigt. Die Verschiebung d im kontinuierlichen Ermüdungszyklus setzt sich aus der elastoplastischen Verschiebung (de + dp) und der Kriechverschiebung (dc) zusammen. Im schnellen Zyklus treten nur die elastoplastischen Verschiebungen auf, sodass die Kriechdeformation durch die Differenz zwischen den beiden Hystereseschleifen bei gegebener Last extrahiert werden kann.

Durch Anwendung dieser Methode kann die Kriechkomponente in der Rissöffnungsverschiebung aus den Hystereseschleifen extrahiert werden. Abbildung 7.4(c) zeigt die P-V Hystereseschleifen des kontinuierlichen Ermüdungszyklus (durchgezogene Linie) und des schnellen Dehnungszyklus (gestrichelte Linie). Die elastoplastische und Kriechkomponente können durch diese Differenz getrennt werden. Das DJC wird aus der Fläche Sc in der Hystereseschleife des schnellen Zyklus berechnet, während das DJf (Ermüdungskomponente) aus der Fläche Sp extrahiert wird.

Für den praktischen Einsatz dieser Methoden sind experimentelle Untersuchungen von entscheidender Bedeutung. Studien haben gezeigt, dass diese Ansätze in der Lage sind, eine präzise Bewertung der Kriech- und Ermüdungseffekte in hochtemperaturbeanspruchten Materialien zu liefern, was für die Lebensdauerprognose und die Risswachstumsanalyse in industriellen Anwendungen von hoher Bedeutung ist.

Es ist jedoch wichtig, die zugrunde liegenden Annahmen und Limitationen der verwendeten Modelle zu verstehen. Während die Strain-Partitionierungsmethode unter Laborbedingungen sehr erfolgreich angewendet wurde, muss die Gültigkeit dieser Modelle unter realen Betriebsbedingungen, wo weitere komplexe Faktoren wie zyklische Temperaturänderungen oder inhomogene Materialeigenschaften auftreten können, noch weiter erforscht werden. Zukünftige Arbeiten sollten sich mit der detaillierten Analyse der Singularitäten von Spannung und Dehnung in der Nähe der Rissspitze befassen, insbesondere bei gleichzeitiger elastoplastischer und kriechbedingter Deformation. Nur durch solch eine detaillierte Untersuchung können die verwendeten Modelle weiter verfeinert und ihre Prognosefähigkeit verbessert werden.

Wie sich Kriechen und Ermüdung auf die Rissausbreitung auswirken: Einblicke in komplexe Mechanismen

Die Interaktion zwischen Kriechen und Ermüdung stellt eine der größten Herausforderungen in der Hochtemperatur-Frakturmechanik dar. Das Verhalten von Rissen unter solchen Bedingungen ist äußerst komplex und nichtlinear, was zu einem schwer fassbaren Mechanismus führt, der weder nur durch zyklusabhängige Ermüdung noch nur durch zeitabhängiges Kriechen allein erklärt werden kann. Experimente, die systematisch auf diese Wechselwirkungen eingehen, liefern wertvolle Hinweise zur Aufklärung der zugrunde liegenden Mechanismen der Kriech-Ermüdungs-Interaktionen.

Insbesondere der Übergang von einer dominiert durch Kriechen geprägten Ermüdung zu einer zyklusabhängigen Ermüdung, wie in Abbildung 8.6a dargestellt, zeigt die plötzliche Änderung der Rissausbreitungsgeschwindigkeit. Ein solcher Übergang ist oft von einem gleichzeitigen Auftreten von Zeit- und Zyklusabhängigkeit bei der Rissausbreitung geprägt. Dies kann in der Praxis bedeuten, dass Materialien, die sowohl elastoplastische als auch kriechende Verformungen erfahren, eine komplexe Wechselwirkung zwischen diesen beiden Mechanismen aufweisen, was das Verständnis ihrer Bruchverhalten erheblich erschwert. Die Herausforderung besteht darin, die Bereiche, die durch den J-Integralbereich beschrieben werden, genauer zu definieren und die physikalische Natur des J-Integrals in solchen Fällen zu ergründen. Während methodische Ansätze zur Bestimmung des J-Integrals für Mischmechanismen existieren, bleiben viele Details der lokalen Frakturmechanik, insbesondere in der Nähe des Rissspitzens, noch unbekannt.

Die Frage, ob es Zustände gibt, in denen die Bruchmechanismen sowohl für zyklusabhängige als auch für zeitabhängige Ermüdung bei bestimmten Bedingungen gleich werden, stellt sich hier ebenfalls. Dies würde es ermöglichen, den Unterschied zwischen kriechbedingten und zyklusbedingten Verformungen zu verringern, und möglicherweise könnte der Kriechdehnungsbegriff als eine Form der zeitabhängigen plastischen Dehnung betrachtet werden. Dies würde die Notwendigkeit einer Unterscheidung der Parameter des J-Integrals für beide Mechanismen in Frage stellen.

Wenn wir uns die Ausbreitung von Rissen unter einem einzelnen Mechanismus ansehen, gibt es klare experimentelle Beweise für die Unterscheidung zwischen den Bruchverhalten in zeitabhängiger Ermüdung und zyklusabhängiger Ermüdung. Für Materialien mit hoher Zugzähigkeit kann dieser Unterschied jedoch kleiner werden. Die Frage bleibt, ob unter bestimmten Bedingungen die Bruchmechanismen bei der Rissspitze ähnlich sind. In diesem Fall könnte die Kriechdehnung als eine zeitabhängige plastische Dehnung betrachtet werden, wobei die Rissausbreitung auf den J-Integralbereich zurückgeführt wird, der beide Verformungsarten berücksichtigt.

Das Verständnis der Rissausbreitung bei hohen Temperaturen wird durch die Mikrostruktur des Materials erheblich beeinflusst. Mikroskopische Beobachtungen zeigen, dass Materialien mit größeren Körnern, wie etwa Inconel MA754, in der Lage sind, Risse auf eine bestimmte Weise zu blockieren, was zu einer verzögerten Rissausbreitung führt. Die Wechselwirkungen zwischen Kornstrukturen und Rissen haben daher eine entscheidende Bedeutung für die Bruchmechanik und sollten bei der Modellierung und der Bewertung von Materialien unter Hochtemperaturbedingungen berücksichtigt werden.

Kleinere Risse, die durch statisches Kriechen in glatten Proben entstehen, werden oft in hoher Dichte gebildet. Diese kleinen Risse wachsen typischerweise schrittweise und stehen in einem klaren Zusammenhang mit den mikrostrukturellen Eigenschaften des Materials. Mikroskopische Untersuchungen zeigen, dass diese Risse, wenn sie auf der Oberfläche einer Probe entstehen, eine Vielzahl von möglichen Wachstumsmodi aufweisen, die von der mikrostrukturellen Anordnung der Körner und den lokalen mechanischen Spannungen abhängen.

Es wird zunehmend deutlich, dass die Wechselwirkungen zwischen Kriechen und Ermüdung nicht nur zu einer Verzerrung der Rissausbreitungsraten führen, sondern auch zu einer komplexen Dynamik des Risswachstums, die durch das Zusammenspiel von Zeit- und Zyklusabhängigkeit bestimmt wird. Ein tieferes Verständnis dieser komplexen Mechanismen könnte nicht nur helfen, die Lebensdauer von Hochtemperaturmaterialien besser vorherzusagen, sondern auch innovative Lösungen zur Verbesserung der Materialleistung unter extremen Betriebsbedingungen bieten.

Die Rissausbreitung unter dem Einfluss von Kriechen und Ermüdung zu verstehen, erfordert daher nicht nur eine detaillierte Untersuchung der mikrostrukturellen Eigenschaften des Materials, sondern auch eine präzise Modellierung der thermomechanischen Wechselwirkungen und der spezifischen Bruchmechanismen. Solche Modelle könnten in Zukunft nicht nur helfen, die Leistungsgrenzen von Hochtemperaturwerkstoffen zu erweitern, sondern auch zu nachhaltigeren und sichereren technischen Anwendungen führen.