Die Einschätzung des Risikos von Blutungen und Thrombosen bei Patienten, die sich einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterziehen, stellt eine der größten Herausforderungen in der klinischen Praxis dar. Es gibt keine universelle Methode, die das individuelle Risiko jedes Patienten exakt vorhersagen kann, da viele Faktoren eine Rolle spielen. Insbesondere bei Patienten, die als Hochrisikopatienten für Blutungen (HBR) und/oder Thrombosen (HTR) gelten, wird die richtige Einschätzung noch komplexer. Der Academic Research Consortium for High Bleeding Risk (ARC-HBR) wurde ins Leben gerufen, um diese Risiken besser zu kategorisieren und fundierte Entscheidungen über den besten Behandlungsansatz zu ermöglichen.
Zuvor wurde das Risiko von Blutungen im Rahmen von PCI durch die Anwendung verschiedener Risikoscores eingeschätzt, wie zum Beispiel dem PRECISE-DAPT oder dem BleeMACS-Score. Diese Scores verwendeten einen binären Ansatz, bei dem Patienten entweder als hoch oder niedrig riskant für Blutungen eingestuft wurden, basierend auf einer Reihe von Kriterien. Ein wichtiges Problem dieser Scoring-Methoden war die Vereinfachung komplexer klinischer Umstände. Beispielsweise wurden Patienten über 75 Jahre, mit moderater chronischer Nierenerkrankung oder niedrigen Hämoglobinwerten als risikobehaftet eingestuft, ohne die individuellen Umstände, wie etwa die Aktivität oder Lebensqualität des Patienten, zu berücksichtigen. Ein Patient mit einer guten körperlichen Verfassung und regelmäßiger Bewegung hatte möglicherweise ein deutlich geringeres Risiko als ein anderer Patient, der chronisch gebrechlich ist, obwohl beide dieselben Basisrisikofaktoren aufwiesen.
Die Entwicklung des ARC-HBR-Modells berücksichtigt diese Limitationen, indem es versucht, einen differenzierteren Blick auf die verschiedenen Risikofaktoren zu werfen. Es unterscheidet zwischen Patienten, die aufgrund von Faktoren wie fortgeschrittenem Alter, schweren Nierenfunktionsstörungen, malignen Erkrankungen oder vorherigem Schlaganfall ein erhöhtes Blutungsrisiko aufweisen, und denen, die durch bestimmte medizinische Interventionen oder Begleiterkrankungen ein höheres Risiko für Thrombosen haben. Darüber hinaus werden auch nicht-klinische Faktoren berücksichtigt, wie etwa die Art der Intervention oder die Medikation des Patienten.
Die Einführung des Begriffs „High Thrombotic Risk“ (HTR) bringt eine zusätzliche Dimension in die Risikobewertung von PCI-Patienten. HTR bezieht sich auf Patienten, bei denen das Risiko schwerwiegender thrombotischer Ereignisse wie Stentthrombosen oder Myokardinfarkten erhöht ist. Besonders relevant wurde dieser Begriff während der Umstellung von Bare-Metal-Stents auf die ersten Generationen von medikamentenbeschichteten Stents (DES), da diese eine unzureichende Endothelisierung verursachten, was zu einem erhöhten Risiko für späte und sehr späte Stentthrombosen führte. Mit den Fortschritten in der DES-Technologie konnten diese Risiken jedoch deutlich reduziert werden.
Um eine akkurate Risikoeinschätzung bei Patienten mit beiden Risikofaktoren, HBR und HTR, vorzunehmen, ist eine integrative Betrachtung notwendig, die klinische Daten, anatomische und prozedurale Faktoren umfasst. Das ARC-HBR-Modell bietet hierbei eine wertvolle Unterstützung, indem es beide Dimensionen der Risikoeinschätzung integriert. Zu den klinischen Faktoren, die das Thromboserisiko erhöhen können, gehören beispielsweise Diabetes, multivessel disease, oder eine Vorgeschichte von akutem Koronarsyndrom (ACS). Auch nicht-klinische Faktoren wie die Verwendung von bestimmten Stenttypen, die Länge des Stents, die Art des Eingriffs oder post-prozedurale Blutflussparameter spielen eine entscheidende Rolle.
Es ist wichtig zu betonen, dass Stentthrombosen zu verschiedenen Zeitpunkten nach dem Eingriff auftreten können. Diese werden in drei Kategorien unterteilt: frühe Thrombosen (innerhalb eines Monats nach dem Eingriff), späte Thrombosen (zwischen einem Monat und einem Jahr) und sehr späte Thrombosen (nach mehr als einem Jahr). Die Mehrheit der Fälle betrifft die frühen Thrombosen, die häufig mit einer Absetzung oder einem Ausbleiben der dualen Antiplatelet-Therapie (DAPT) in Zusammenhang stehen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, das Timing in Bezug auf die PCI zu berücksichtigen, da das Thromboserisiko mit der Zeit abnimmt.
Die Balance zwischen einem hohen Blutungs- und einem hohen Thromboserisiko erfordert eine differenzierte Einschätzung der Patienten und eine präzise Auswahl der Therapie. Die moderne Medizin und die fortschreitende Forschung im Bereich der Risikomodellierung tragen dazu bei, diese Herausforderungen besser zu verstehen und zu adressieren. Letztlich ist die genaue Risikobewertung ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Behandlung und die Minimierung von Komplikationen.
Für die klinische Praxis ist es von großer Bedeutung, dass Ärzte nicht nur auf die numerische Risikobewertung vertrauen, sondern auch die klinischen Besonderheiten jedes einzelnen Patienten berücksichtigen. So kann ein differenzierterer, individualisierter Ansatz gefunden werden, der sowohl die Risikofaktoren für Blutungen als auch für Thrombosen berücksichtigt und den Patienten optimal behandelt. Ein solcher Ansatz erfordert eine ständige Weiterbildung und das Bewusstsein für die Komplexität der klinischen Entscheidungsfindung.
Welche Rolle spielen neue Generationen von DES bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko?
Bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (HBR) nach einer perkutanen Koronarintervention (PCI) stellt die Wahl der optimalen antithrombotischen Therapie eine besondere Herausforderung dar. Eine der größten Fragestellungen ist, wie lange eine doppelte antithrombotische Therapie (DAPT) fortgeführt werden sollte, da dies das Risiko von schwerwiegenden Blutungen signifikant erhöhen kann. Laut den 2019 vorgestellten Kriterien des Academic Research Consortium for High Bleeding Risk (ARC-HBR) sind Patienten mit HBR einem erhöhten Risiko für schwere Blutungskomplikationen ausgesetzt. Bereits ein Jahr nach der PCI steigt dieses Risiko für schwere Blutungen auf über 4 %, was durch eine verlängerte oder intensivere DAPT-Behandlung noch verstärkt werden kann. Diese Patienten zeigen eine höhere Sterblichkeit und eine verstärkte Häufung von sowohl ischämischen als auch Blutungsereignissen im Verlauf der Therapie.
Neue Generationen von medikamentenbeschichteten Stents (DES) bieten in diesem Kontext eine mögliche Lösung. Studien zur Anwendung dieser Stents bei HBR-Patienten legen nahe, dass sie das Risiko von ischämischen Ereignissen verringern können, ohne die Blutungsgefahr übermäßig zu erhöhen. So hat beispielsweise die ZEUS-Studie gezeigt, dass Zotarolimus-eluting Stents bei HBR-Patienten in Kombination mit einer DAPT von einem Monat im Vergleich zu herkömmlichen Bare-Metal-Stents (BMS) eine signifikante Reduktion der Hauptkomplikationen wie Todesfälle, Myokardinfarkte und Zielgefäß-Reinterventionen (TVR) bewirkt. Dies unterstreicht die Bedeutung von modifizierten Stentplattformen und verbesserter Polymertechnologie, die darauf abzielen, die Ischämie zu kontrollieren und gleichzeitig das Blutungsrisiko zu minimieren.
Neben diesen Ergebnissen zur Wirksamkeit und Sicherheit der Stents selbst, müssen jedoch auch die spezifischen Eigenschaften der verwendeten Medikamente und die Wahl der DAPT-Dauer berücksichtigt werden. So zeigt die LEADERS FREE-Studie, dass der Einsatz eines polymerfreien Biolimus-A9-beschichteten Stents in Kombination mit einer kurzen DAPT von nur einem Monat zu einer besseren Gesamtprognose für HBR-Patienten führt, im Vergleich zur klassischen Behandlung mit Bare-Metal-Stents, wo der Bedarf an einer längeren DAPT oft zu erhöhten Blutungskomplikationen führt.
Ein besonders interessantes Ergebnis dieser und ähnlicher Studien ist, dass die Verwendung von DES bei HBR-Patienten mit verkürzter DAPT-Dauer sowohl die langfristige Wirksamkeit als auch die Sicherheit verbessert. Die LEADERS FREE-Studie, die als erste polymerfreie Stents gegen BMS in dieser speziellen Patientengruppe testete, zeigte signifikante Vorteile hinsichtlich der Reduktion von kardiovaskulären Todesfällen und nicht-fatalen Myokardinfarkten. Ein solcher Ansatz könnte das klinische Management von HBR-Patienten langfristig verändern.
Allerdings gibt es auch andere innovative Ansätze, wie etwa bioresorbierbare Polymere und Stents mit ultraschlanken Plattformen, die das Risiko von Stentthrombosen und anderen ischämischen Ereignissen weiter verringern sollen. Die BIOFLOW-Studie, die den bioresorbierbaren Sirolimus-beschichteten Stent gegen den Zotarolimus-beschichteten Stent verglich, zeigte ebenfalls, dass dieser Ansatz bei HBR-Patienten keine höheren Blutungsraten verursachte, während er gleichzeitig die kardiovaskulären Ereignisse signifikant reduzierte.
Der Vergleich dieser verschiedenen Stent-Technologien und DAPT-Dauern legt nahe, dass für HBR-Patienten die Wahl des richtigen Stents in Kombination mit einer optimalen Dauer der DAPT entscheidend für die klinischen Ergebnisse ist. Während Bare-Metal-Stents in der Vergangenheit die Standardbehandlung für solche Patienten darstellten, zeigen die neuesten Studien, dass DES, insbesondere mit innovativen Plattformtechnologien und verkürzter DAPT, eine deutlich bessere Option darstellen könnten.
Die Kombination von neuen Stenttechnologien mit einer personalisierten antithrombotischen Therapie könnte die Therapie bei HBR-Patienten revolutionieren. Hierbei muss jedoch immer die Balance zwischen dem Risiko von Blutungen und dem potenziellen Nutzen der Verhinderung von thrombotischen Ereignissen berücksichtigt werden.
Es ist auch von Bedeutung zu verstehen, dass die Therapieentscheidungen nicht nur auf den Stents selbst basieren, sondern auch auf einer gründlichen Risikobewertung des Patienten. Faktoren wie das Alter, der Gesundheitszustand, frühere Ereignisse von Blutungen oder Thrombosen sowie die zugrunde liegende kardiovaskuläre Erkrankung spielen eine ebenso wichtige Rolle. Die zukünftige Forschung wird entscheidend dazu beitragen, genauere Empfehlungen für die Behandlungsstrategien bei dieser speziellen Patientengruppe zu entwickeln, insbesondere hinsichtlich der optimalen Dauer der DAPT-Therapie.

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