Prontosil kann als „Prodrug“ klassifiziert werden, da es in inaktiver Form verabreicht wird und erst durch metabolische Reaktionen im Körper in die aktive Form umgewandelt wird. Nachdem der aktive Teil des Farbstoffs von Prontosil bestimmt worden war, begannen Wissenschaftler, verschiedene Derivate der Sulfonamide zu synthetisieren und diese auf ihre antibiotischen Eigenschaften zu testen. Auf diese Weise wurde die erste Klasse synthetischer Antibiotika, die „Sulfa-Medikamente“, geboren, die auch heute noch verwendet wird.

In den 1960er Jahren erforschten Hitchings und Elion die Möglichkeit, neue Antibiotika zu synthetisieren, indem sie gezielt die DNA-Synthese von Bakterien oder Viren blockierten. Ihre Arbeit führte zur Synthese von Trimethoprim und Pyrimethamin, die heute zur Behandlung von Malaria, Meningitis, Sepsis und anderen Infektionskrankheiten eingesetzt werden. Diese Entdeckung brachte ihnen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin im Jahr 1988 ein. Ähnlich wie die Sulfonamide hemmt Trimethoprim die Biosynthese von Folsäure in Bakterien, und lange Zeit wurden beide Medikamente zusammen als Kombinationspräparate unter Markennamen wie Septra oder Bactrim verabreicht. Besonders effektiv war Trimethoprim bei der Behandlung von Krankheiten wie Typhus, da es in der Lage ist, tief in das Gewebe einzudringen.

Ein weiterer bemerkenswerter Vertreter synthetischer Antibiotika sind Nalidixinsäure und ihre Derivate, die Fluorchinolone, die auch bei oraler Einnahme hohe Konzentrationen im Blut erreichen und unter anderem zur Behandlung von Infektionen wie der Lungenentzündung eingesetzt werden.

Die Entwicklung von Antibiotika hat sich jedoch nicht nur positiv auf die medizinische Behandlung ausgewirkt. In den letzten Jahrzehnten sind Multiresistente Keime (MDR) zunehmend ein globales Gesundheitsproblem geworden. Bakterien, die gegen mindestens drei der vier Hauptklassen von Antibiotika resistent sind – jene, die die Zellmembran, die Zellwand, die Nukleinsäuresynthese und die Proteinsynthese betreffen – stellen eine erhebliche Bedrohung dar. Besonders besorgniserregend sind Bakterien der sogenannten ESKAPE-Gruppe: Enterococcus faecium (vancomycin-resistent), Staphylococcus aureus (methicillin- oder vancomycin-resistent), Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacter spp., von denen die letzten vier gegen Carbapeneme resistent sind.

Trotz der frühen Erfolge in der Entwicklung neuer Antibiotika hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten drastisch verschlechtert. Viele der heute verwendeten Antibiotika wurden bereits in den ersten vier Jahrzehnten nach der Entdeckung von Penicillin entwickelt. Die Bakterien haben eine Resistenz gegen fast alle dieser Antibiotika entwickelt. Besorgniserregend ist, dass nur wenige neue Antibiotikaklassen in den letzten 50 Jahren entwickelt wurden. So wurden beispielsweise Fluorchinolone 1986 eingeführt, Linezolid (ein Oxazolidinon) im Jahr 2000 und Lefamulin (ein Pleuromutilin) 2019.

Das Hauptproblem liegt jedoch in der Tatsache, dass die pharmazeutischen Unternehmen nur begrenzte Investitionen in die Forschung neuer Antibiotika tätigen. Es ist wirtschaftlich lukrativer, Medikamente für chronische Krankheiten wie hohen Cholesterinspiegel oder Herzprobleme zu entwickeln, da diese Medikamente über längere Zeiträume eingenommen werden. Antibiotika hingegen werden in der Regel nur kurzzeitig eingesetzt. Zudem ist die Entwicklung eines „neuen“ Antibiotikums kein dauerhafter Erfolg, da die Gefahr besteht, dass die Bakterien innerhalb kurzer Zeit Resistenzen entwickeln, wenn die Medikamente übermäßig verwendet werden.

Ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die sogenannte „Fitness-Kosten“ von Antibiotika-Resistenzen. Es wird allgemein angenommen, dass die Entwicklung einer Antibiotika-Resistenz Bakterien schwächt, da dieser Vorgang oft mit einem Verlust bestimmter Funktionen verbunden ist. Ein Beispiel ist die Mutation eines Proteins, das normalerweise Antibiotika durch die Zellmembran aufnimmt. Diese Mutation könnte dazu führen, dass auch wichtige Nährstoffe nicht mehr durch die Membran gelangen, was das Überleben der Bakterien erschwert. Eine ähnliche Auswirkung zeigt sich bei Bakterien, die sich gegen Aminoglykoside resistent zeigen: Die Struktur der Ribosomen wird verändert, was zu einer verringerten Funktionalität führt.

Interessanterweise gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel: Es gibt Berichte, dass bestimmte Resistenzen Bakterien sogar einen Überlebensvorteil verschaffen können. So wurde bei Pseudomonas aeruginosa festgestellt, dass die Inaktivierung eines bestimmten Porins (oprD) nicht nur eine Resistenz gegen Carbapeneme zur Folge hatte, sondern auch die Fähigkeit der Bakterien, in saurem Milieu zu überleben, verstärkte. In solchen Fällen ist die Antibiotika-Resistenz nicht nur ein „Kostenfaktor“, sondern trägt tatsächlich zur Fitness des Bakteriums bei.

Dieser komplexe Zusammenhang zwischen Antibiotika-Resistenz und Bakterienfitness erfordert eine sorgfältige Betrachtung und innovative Lösungen. Es reicht nicht aus, nur die Anwendung von Antibiotika zu reduzieren. Ein umfassender Ansatz, einschließlich der Entwicklung von Impfstoffen gegen resistente Bakterien, könnte erforderlich sein, um die Bedrohung durch multiresistente Erreger langfristig zu bekämpfen.

Wie Interkalatoren als Antibiotika wirken

Die DNA, die als doppelsträngige helikale Struktur vorliegt, ist durch die Wechselwirkungen der aromatischen Ringe der Basenpaare stabilisiert, die aufeinander gestapelt sind. Diese Struktur ermöglicht es bestimmten aromatischen Molekülen, zwischen den Basenpaaren der DNA einzutreten. Solche Moleküle werden als „Interkalatoren“ bezeichnet und bestehen meist aus drei aromatischen Ringen. Bekannte Beispiele für Interkalatoren sind Acridin und seine Derivate Proflavine und Acriflavine. Diese Moleküle sind aufgrund ihrer Struktur besonders geeignet, sich zwischen zwei Basenpaare zu schieben, da jedes Basenpaar ebenfalls aus drei aromatischen Ringen besteht – zwei für Purine und einen für Pyrimidine.

Interkalatoren wirken als Antibiotika aus zwei Hauptgründen. Erstens binden diese trizyklischen Verbindungen an die drei aromatischen Ringe der Basen beider DNA-Stränge, wodurch die beiden Stränge eng miteinander verbunden werden und es schwierig wird, sie zu trennen. Dies beeinträchtigt sowohl die Replikation als auch die Transkription, da beide Prozesse mit der lokalen Trennung der beiden Stränge an den jeweiligen Initiationsstellen beginnen. Diese lokale Trennung, auch als „localized melting“ bezeichnet, wird durch die Interkalatoren verhindert, was den Fortgang der Replikation oder Transkription stark verlangsamt oder unmöglich macht. Selbst wenn die Replikation initiiert wird, kann der Prozess aufgrund der Bindung des Interkalators nicht effizient fortschreiten.

Zweitens führt die Bindung des Interkalators zwischen den Basenpaaren zu einer Entspannung der doppelhelikalen Struktur der DNA, da die Entfernung zwischen den Basenpaaren zunimmt. Dies führt dazu, dass die Helix partiell entwindet, was die normale Struktur der DNA stört. Die resultierende Verzerrung kann zu einer Deletion oder Addition von Basen während der DNA-Replikation führen, was zu einer Frameshift-Mutation führen kann. Eine solche Mutation hat zur Folge, dass entweder falsche oder verkürzte Proteine synthetisiert werden. Dies hat für die Bakterien schädliche Auswirkungen, weshalb Interkalatoren als Antibiotika fungieren können, indem sie diese Mutationen verursachen.

Ein weiterer entscheidender Aspekt ist, dass Interkalatoren nicht nur die Struktur der DNA beeinträchtigen, sondern auch direkt die Funktionsweise von Enzymen, die für die Replikation oder Transkription notwendig sind, stören. Ein Beispiel hierfür ist das Enzym DNA-Gyrase, das in Bakterien eine wesentliche Rolle beim Entwinden der DNA spielt, um Replikation und Transkription zu ermöglichen. Interkalatoren können die Bindung von DNA-Gyrase an die DNA hindern oder ihre Funktionalität beeinträchtigen, was zu einem Stopp der Replikation führt. Diese Interaktionen sind ein grundlegender Mechanismus, durch den Interkalatoren ihre antibiotische Wirkung entfalten.

Die Wirkung von Interkalatoren auf die DNA hat weitreichende Konsequenzen, da sie nicht nur die Struktur destabilisieren, sondern auch genetische Fehler induzieren, die für das Bakterium letztlich schädlich sind. Diese Fehler in der DNA führen zu Mutationen, die entweder die Funktion des Proteins völlig zerstören oder die Bakterienzelle zu einem frühen Tod führen können. Durch diese Mechanismen der DNA-Schädigung und der Mutagenese sind Interkalatoren äußerst effektive Werkzeuge für die Bekämpfung von bakteriellen Infektionen.

Wichtig ist, dass Interkalatoren nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Forschung verwendet werden, um die Auswirkungen von DNA-Veränderungen besser zu verstehen. Sie helfen dabei, die Rolle von Mutationen und die Reparaturmechanismen der DNA zu untersuchen. Trotz ihrer antibiotischen Wirkung haben diese Moleküle jedoch auch ihre Tücken, da ihre potente Wirkung auf die DNA bei unkontrolliertem Einsatz zu genetischen Schäden auch in menschlichen Zellen führen könnte. Daher ist ihre Anwendung in der Medizin stark reguliert, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden.