Die archäologischen Stätten der späten Harappa-Kultur, die sich entlang des Indus und seiner Nebenflüsse erstreckten, werfen faszinierende Licht auf die Entwicklung der Gesellschaften im nordwestlichen Indien zwischen ca. 2200 und 1800 v. Chr. Besonders aufschlussreich sind die Entdeckungen in der Sanauli-Stätte, die während der Ausgrabungen 2004–2005 zutage traten und zu den bedeutendsten archäologischen Funden in dieser Region gehören. Diese Funde bieten einen tiefen Einblick in die kulturellen Praktiken und die Bestattungsriten dieser späten Bronzezeit-Gesellschaft, die in vielerlei Hinsicht eine Brücke zwischen der Harappa-Kultur und späteren Entwicklungen in Südasien bildet.

Die Gräber, die in Sanauli ausgegraben wurden, enthielten eine Vielzahl von Bestattungsformen und Grabbeigaben, die sowohl in ihrem Ausmaß als auch in ihrer Vielfalt einzigartig sind. Insgesamt wurden 116 Gräber aus verschiedenen Erdschichten freigelegt, wobei eine klare Orientierung in Richtung Nordwesten-Südosten erkennbar war. Diese Ausrichtung war nicht nur ein architektonisches Merkmal, sondern möglicherweise auch ein symbolischer Akt, der auf kosmologische oder religiöse Überzeugungen hinweist. In vielen Gräbern fanden sich Beigaben, die auf die soziale Stellung und die Bedeutung des Verstorbenen hinwiesen, einschließlich kunstvoller Schmuckstücke, Waffen und sogar frühe Formen von Wagen, die den Rang und Status der Begrabenen widerspiegeln.

Ein bemerkenswerter Fund in Sanauli war das Vorhandensein von drei Wagen, die als die ältesten bekannten Funde von Radfahrzeugen in Indien gelten. Diese Wagen, die mit soliden Rädern und mit Kupfer verzierten Dreiecken ausgestattet waren, könnten entweder von Pferden oder von Zugtieren wie Ochsen gezogen worden sein. Die genaue Bestimmung, ob es sich um Wagen oder tatsächlich um Streitwagen handelt, ist noch offen, doch die Entdeckung ist von enormer Bedeutung, da sie auf eine fortschrittliche Technik und eine engere Verbindung zu anderen Kulturen Zentralasiens hindeutet, wie etwa der Bactria-Margiana-Archäologischen Komplex-Kultur (BMAC).

Ein weiteres faszinierendes Merkmal der Gräber von Sanauli ist die Vielzahl von symbolischen Bestattungen. Diese Gräber enthalten keine menschlichen Überreste, sondern Gegenstände, die entweder als Opfergaben oder als symbolische Darstellungen des Verstorbenen dienten. Ein besonders interessantes Beispiel ist das Grab, das mit zwei pilzförmigen Standgeschirrstücken und einem Kupferbehälter in Form eines Violinschlüssels ausgestattet war. Diese Objekte, die als rituelle Artefakte interpretiert werden können, sind Belege für den spirituellen Glauben der damaligen Gesellschaft und ihre komplexen Bestattungsriten, die weit über einfache Bestattungspraktiken hinausgingen.

Ein anderer bemerkenswerter Fund in den höheren Erdschichten von Sanauli war das Grab, das mit Steatitplatten verziert war, die in einer Form angeordnet waren, die eine menschliche Figur darstellte. Dies könnte auf eine künstlerische Darstellung des Verstorbenen oder auf eine Verehrung des Verstorbenen als göttliche Figur hindeuten. Weitere Funde aus dieser Zeit umfassen Überreste von Tieren, die möglicherweise im Rahmen von Opferzeremonien im Zusammenhang mit den Bestattungen geopfert wurden.

In den Gräbern von Sanauli fanden sich nicht nur Gegenstände aus Kupfer und Gold, sondern auch eine Vielzahl von Tongefäßen, darunter Töpfe, die in einer Vielzahl von Formen und Größen vorkamen. Diese Töpfe, oft mit kunstvollen Verzierungen, weisen auf eine hochentwickelte Handwerkskunst hin, die in der Harappa-Kultur weit verbreitet war. Einige dieser Töpfe wurden als Aufbewahrungsbehälter genutzt, während andere als Grabbeigaben dienten.

Die Tiere, deren Knochen in den Gräbern gefunden wurden, sind ebenfalls von Bedeutung, da sie Aufschluss über die Lebensweise und Ernährung der damaligen Bevölkerung geben. Unter den Tieren fanden sich vor allem Überreste von Ziegen, Schafen, Rindern und Schweinen, was auf eine Mischung aus Viehzucht und Landwirtschaft hinweist. In einigen Fällen deutet der Fund von Tierknochen auch auf rituelle Opfer hin, was die religiösen Praktiken dieser Gesellschaft widerspiegelt.

Die archäologischen Funde aus Sanauli und den umliegenden Regionen bieten ein klares Bild von einer Gesellschaft, die sowohl fortschrittlich als auch komplex war. Die Verwendung von Kupfer und Bronze für Werkzeuge und Waffen zeigt den technischen Fortschritt dieser Zeit, während die reichen Grabbeigaben und die Symbolik der Bestattungen auf eine tief verwurzelte religiöse Überzeugung und eine ausgeprägte Sozialstruktur hindeuten. Die Entdeckung der Wagen und anderer ritueller Objekte deutet darauf hin, dass diese Kultur möglicherweise auch durch den Kontakt mit anderen Kulturen der eurasischen Steppe beeinflusst wurde.

Die Bedeutung von Sanauli als einem frühen Zentrum für rituelle und technische Innovationen ist kaum zu überschätzen. Es ist ein Beweis für die fortschrittliche Kultur der späten Harappa-Gesellschaft und für die komplexen religiösen und sozialen Strukturen, die den Alltag der Menschen dieser Zeit prägten. Die Funde aus Sanauli tragen nicht nur zum besseren Verständnis der indischen Frühgeschichte bei, sondern werfen auch ein neues Licht auf die Verbindungen zwischen Indien und Zentralasien während der Bronzezeit.

Neben diesen archäologischen Aspekten ist es wichtig zu verstehen, dass die späte Harappa-Kultur und ihre Bestattungspraktiken eine der vielen Facetten der Entwicklung der indischen Zivilisation darstellen. Während die materiellen Funde aus den Gräbern wertvolle Einblicke in die Lebensweise der damaligen Menschen bieten, ist es ebenso entscheidend, die kulturellen und spirituellen Dimensionen zu berücksichtigen, die das tägliche Leben und die Bestattungsriten prägten. Die Symbolik der Grabbeigaben, die Verwendung von Tieren und die Entwicklung von Technologie und Kunst reflektieren eine Gesellschaft, die in ihrer Komplexität und ihrem kulturellen Reichtum außergewöhnlich war und einen bleibenden Einfluss auf die späteren indischen Kulturen hatte.

Welche Rolle spielten die städtischen Strukturen der Harappa-Zivilisation bei der Organisation der Städte?

Die archäologischen Ausgrabungen in Mohenjodaro und anderen bedeutenden Siedlungen der Harappa-Zivilisation bieten einen faszinierenden Einblick in das urbane Leben dieser alten Kultur. Besonders die so genannte Zitadelle von Mohenjodaro zieht dabei großes Interesse auf sich, da sie nicht nur beeindruckende Architekturmerkmale aufweist, sondern auch eine tiefere Bedeutung in Bezug auf die Organisation und das soziale Gefüge der Stadt zu haben scheint.

Die Zitadelle von Mohenjodaro erhebt sich etwa 12 Meter über das umgebende Terrain und ist von einer massiven Mauer aus Lehmziegeln umgeben, die teilweise mit Ausbuchtungen versehen ist. Diese Mauern könnten ursprünglich als Schutz vor Überschwemmungen oder als Symbol der Macht und des Status gedient haben, doch ist die Vermutung, dass die Mauern eine primär zivilisatorische Funktion hatten, nicht unbegründet. Es wird angenommen, dass die erhöhte Lage der Zitadelle nicht nur der Verteidigung diente, sondern auch ein symbolisches Landschaftselement der städtischen Gestaltung darstellte.

Besonders auffällig in der Zitadelle ist das sogenannte „Große Bad“, ein meisterhaft gebauter Pool, der 14,5 mal 7 Meter misst und eine Tiefe von bis zu 2,4 Metern erreicht. Dieses Bad ist nicht nur ein herausragendes Beispiel für die Ingenieurskunst der Harappa-Kultur, sondern könnte auch religiöse oder gesellschaftliche Bedeutung besessen haben. Es wurde so konzipiert, dass es wasserdicht war – ein früher Anwendungsfall von Bitumen und Mörtel in der Baukunst. Darüber hinaus war es mit einer Reihe von Kolonnaden umgeben, was möglicherweise darauf hinweist, dass es auch eine gesellschaftliche oder rituelle Funktion hatte, bei der die Menschen miteinander in Kontakt kamen.

Nicht weit vom Bad entfernt fanden sich Überreste eines großen Gebäudes, das als „Kollegium der Priester“ identifiziert wurde. Es handelt sich dabei um ein beeindruckendes Bauwerk, das vermutlich mehreren Priestern als Residenz oder Arbeitsstätte diente. Seine Nähe zum Großen Bad könnte darauf hindeuten, dass es eine zentrale Rolle in religiösen oder zeremoniellen Aktivitäten spielte. Die Zitadelle beherbergt auch das „Große Kornhaus“, ein riesiges Gebäude, dessen Funktion jedoch bis heute umstritten ist. Die große Zahl der Räume und die komplexe Struktur deuten auf eine hohe Bedeutung hin, doch ob es sich wirklich um ein Kornlager handelte, bleibt fraglich.

Im Gegensatz zur Zitadelle war die niedere Stadt von Mohenjodaro weniger monumental, aber nicht weniger faszinierend. Sie war durch ein Netz von Straßen und Gassen strukturiert, wobei die Hauptstraßen 9 Meter breit waren und zahlreiche kleinere Straßen das Stadtbild durchzogen. Diese Straßen waren nicht nur Verkehrswege, sondern auch soziale Räume, in denen die Menschen ihre täglichen Aktivitäten verrichteten. Die Häuser waren unterschiedlich groß und schienen den sozialen Status ihrer Bewohner widerzuspiegeln. Viele der Häuser hatten eigene Brunnen, was auf ein gut organisiertes Wasserversorgungssystem hindeutet, das für die hohe Bevölkerungsdichte in der Stadt notwendig war.

Die Werkstätten und Geschäfte, die in der niederen Stadt entdeckt wurden, belegen die wirtschaftliche Vielfalt von Mohenjodaro. Hier wurden nicht nur Töpferwaren hergestellt, sondern auch Schmuck, Werkzeug und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs. Besonders bemerkenswert sind die Überreste einer Perlenfabrik, die in Chanhudaro, einem weiteren wichtigen Harappa-Zentrum, entdeckt wurden. Diese Stätten belegen die hohe Spezialisierung und das handwerkliche Können der Harappa-Kultur.

Die Stadtplanung und Architektur von Mohenjodaro und anderen Harappa-Siedlungen zeugen von einer weit entwickelten urbanen Zivilisation, die sowohl die praktischen Bedürfnisse ihrer Bewohner als auch ihre symbolischen und sozialen Bedürfnisse berücksichtigte. Besonders die religiösen und rituellen Funktionen der öffentlichen Gebäude und Plätze legen nahe, dass die Harappa-Gesellschaft stark durch religiöse oder zeremonielle Praktiken geprägt war.

Die hohe Dichte der Brunnen in Mohenjodaro, etwa einer in jedem dritten Haus, weist darauf hin, dass das Wasser eine zentrale Rolle im Leben der Menschen spielte. Die Brunnen waren nicht nur funktional, sondern auch soziale Treffpunkte, an denen sich die Bewohner versammelten, um Neuigkeiten auszutauschen oder sich zu vernetzen. Der Austausch von Nachrichten und Informationen könnte ebenso wichtig gewesen sein wie die eigentliche Wasserversorgung.

Ein weiteres faszinierendes Detail in der Stadtgestaltung ist das Fehlen von sichtbaren Tempeln oder monumentalen religiösen Gebäuden, was Fragen zur religiösen Praxis aufwirft. In der Harappa-Zivilisation könnte religiöse Praxis nicht ausschließlich in großen Tempelanlagen stattgefunden haben. Stattdessen könnten private und kleinere gemeinschaftliche Rituale und Zeremonien eine größere Rolle gespielt haben als ursprünglich angenommen.

Wichtig für den Leser ist, dass diese städtischen Strukturen nicht nur funktionale Aspekte der Zivilisation widerspiegeln, sondern auch tief in den sozialen, religiösen und kulturellen Praktiken der Harappa-Gesellschaft verwurzelt sind. Es ist von Bedeutung zu verstehen, dass die Städte wie Mohenjodaro und Harappa nicht nur einfache urbane Zentren waren, sondern auch komplexe, symbolisch aufgeladene Landschaften, in denen Architektur und Stadtplanung eine wichtige Rolle im täglichen Leben und in der spirituellen Welt der Menschen spielten. Besonders die Betonung der Wasserversorgung, der Arbeitsteilung und der sozialen Strukturen bietet tiefere Einblicke in das Verständnis dieser antiken Gesellschaften.