In der Regel werden Reaktionen unter ersten Ordnung Bedingungen durchgeführt, wobei [BT] > [ST] gilt, sodass die Konzentration von [BT] während der Reaktion konstant bleibt und die beobachtete Reaktionsgeschwindigkeit kobs = k2[NT] ergibt. Der Wert von kW2 wird als Reaktionsgeschwindigkeitskonstante im Wasser ohne Mikellen gesetzt. Unter Berücksichtigung der entsprechenden Massenbilanz und der Verteilung der Reaktanten, gemäß der Gleichung (6.81), ergibt sich die Beziehung zwischen den totalen (stoichiometrischen) Konzentrationen der Reaktanten und den Konzentrationen in jeder Pseudophase durch die Gleichung (6.82).

Die Konzentrationseinheiten von S und B in den wässrigen und mikellarischen Pseudophasen erfordern besondere Aufmerksamkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit in der mikellarischen Pseudophase hängt von ihren Konzentrationen in der Grenzschicht (Stern-Schicht) ab und nicht vom gesamten Lösungsmittelvolumen. Dieser Punkt ist entscheidend. Die Konzentrationen von S und B in der Grenzschicht werden in Mol pro Liter Interfaced Volumen ausgedrückt, wie in Gleichung (6.83) beschrieben. Hierbei wird die Beziehung zwischen der interfacialen Konzentration von B, BM, und den stoichiometrischen Konzentrationen von B und SM (micellisiertem Tensid) in Mikellen ausgedrückt. Dabei ist VM das molares Volumen der Reaktion und wird typischerweise mit etwa 0,15 M−1 geschätzt. Diese Zahl kann ermittelt werden, wenn man annimmt, dass Mikellen eine Dichte von etwa 1 g cm−3 haben und die Grenzschicht rund 50% des gesamten Mikellenvolumens einnimmt.

Die Gleichung (6.84) für die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante kann abgeleitet werden, indem man die Gleichungen (6.81) und (6.82) kombiniert. Dabei wird kM2 als die zweite Ordnung der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten in der mikellarischen Pseudophase ausgedrückt, welche in Einheiten der lokalen Molarität von B im Reaktionsvolumen der mikellarischen Pseudophase (VM) angegeben wird. Ihre Schätzung erfolgt durch das Anpassen der kobs-Werte im Vergleich zu den [ST]-Profilen und unter Verwendung unabhängiger Schätzungen der anderen Parameter.

Im Fall von ionischen Tensiden kann der Ionenaustausch eine Rolle spielen, da Mikellen und andere wässrige ionische Oberflächen als selektive Ionenaustauscher wirken. Ein Beispiel hierfür ist die Anwesenheit von SDS-Mikellen, bei denen Na+ als Gegenion mit Kationen wie H+ aus der Bulk-Lösung oder in der Situation mit Kationischen Mikellen wie CTAB OH− oder CN− gegen Br−-Ionen ausgetauscht werden. Die Verteilung der reaktiven Gegenionen wird durch eine Ionenaustauschkonstante beschrieben, gemäß der Gleichung (6.85).

Normalerweise steigt die Ionenaustauschkonstante KX, wenn die Größe von X zunimmt und weniger hydratisiert ist als N. Dies bedeutet, dass die Reihenfolge der Effektivität von X, N von der Mikellenoberfläche zu verdrängen, einer Hofmeister-Serie folgt, sowohl für Kationen als auch für Anionen.

Das Zusammenspiel der Reaktionsgeschwindigkeit mit den Assoziationsgleichungen der Tenside zu Mikellen und dem Ionenaustausch von N und X ermöglicht es, die beobachtete zweite Ordnung Reaktionsgeschwindigkeitskonstante, k2, durch die Gleichung (6.87) zu beschreiben. Die beiden Terme dieser Gleichung bestehen aus unabhängig messbaren oder schätzbaren Konstanten und experimentell fixierten Konzentrationen. Der erste Term, der den Beitrag im Wasser beschreibt, sinkt schnell oberhalb der CMC und kann vernachlässigt werden, aber er hat eine bedeutende Wirkung in Reaktionen, die gehemmt werden. Der zweite Term, der den Beitrag der Mikellen zur Gesamtgeschwindigkeit beschreibt, zeigt ein Maximum von k2 mit steigender Tensidkonzentration. Unterhalb der CMC existieren keine Mikellen, und kW2 = k2. Oberhalb der CMC führt die zunehmende Tensidkonzentration zu einer höheren Mikellenkonzentration und damit zu einer höheren Konzentration der Reaktanten in der Grenzschicht der Mikellen.

Ein weiteres wichtiges Konzept, das es zu beachten gilt, ist die Veränderung der Reaktionsgeschwindigkeit bei sehr hohen Tensidkonzentrationen, wenn alle Reaktanten vollständig in die Mikellen eingebaut sind. In diesem Fall vereinfacht sich die Gleichung (6.87) zu einer einfacheren Form, die die Wechselwirkung von Reaktanten in der Mikellenumgebung genauer beschreibt.

Es gibt auch Mikellen, die mit reaktiven Gegenionen hergestellt werden, wobei das Gegenion ein Reaktant ist. Ein Beispiel hierfür sind Mikellen, die mit Wasserstoffionen (H+) in dodecylsulfat (HDS) oder mit Hydroxidionen (OH−) auf cetyltrimethylammoniumhydroxid (CTAOH) Mikellen geladen sind. In diesen Fällen nimmt die stoichiometrische Konzentration des micellisierten Reaktanten N zu, wenn Tensid hinzugefügt wird. Allerdings bleibt die interfaciale Molarität NM konstant, da angenommen wird, dass der Ionisierungsgrad der Mikelle, β = [NM]/[SM], konstant bleibt, unabhängig von der Tensidkonzentration und der Konzentration zugefügten Salzes.

Ein solches Verhalten vereinfacht die Modellierung der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten und ermöglicht eine genauere Analyse der mikellarischen Katalyse. Diese Mechanismen tragen zur Flexibilität von Mikellen als Katalysatoren bei und ermöglichen es, spezifische Reaktionen zu fördern, die in anderen Umgebungen weniger effizient wären.

Wie kann die Datenmenge für kinetische Profile richtig bestimmt werden?

Um eine angemessene Datenmenge zu erhalten, die für die Bestimmung der kinetischen Parameter notwendig ist, muss der Zusammenhang zwischen der benötigten Stichprobengröße und verschiedenen statistischen Parametern berücksichtigt werden. Eine grundlegende Formel zur Berechnung der Stichprobengröße ist in Gleichung (9.5) dargestellt:

n=Z2P(1P)d2n = \frac{Z^2 P(1 - P)}{d^2}

Hierbei stellt nn die Stichprobengröße dar, ZZ den Wert der Statistik für das gewünschte Konfidenzniveau, PP die erwartete Prävalenz und dd die Präzision (entsprechend der Größe des Effekts). Diese Formel hilft dabei, eine ausreichend große Datenmenge zu bestimmen, die notwendig ist, um eine verlässliche Schätzung der kinetischen Parameter zu erhalten. Diese Herangehensweise ist besonders nützlich bei der Analyse von kinetischen Profilen, bei denen genaue Daten zur Bestimmung von Reaktionsraten und deren Konstanzen erforderlich sind.

Ein interessantes Beispiel liefert El-Seoud et al. [8], die kinetische Profile mit verschiedenen Datensätzen verglichen. Die Autoren stellten fest, dass die Reduktion der Datenpunkte um den Faktor 6 die Werte der Ratenkonstanten für das Verschwinden eines Reagenz oder die Bildung von Produkten nicht beeinträchtigt. Jedoch haben die Ratenkonstanten, die mit Zwischenprodukten in Verbindung stehen, signifikante Veränderungen erfahren. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass in einigen Fällen eine Verringerung der Datenpunkte keine negativen Auswirkungen auf die kinetischen Parameter hat, während andere Parameter durchaus empfindlicher auf Veränderungen der Datenmenge reagieren können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Analyse von Kinetikdaten ist das sogenannte "Rauschen". In der Chemie bezeichnet Rauschen zufällige oder aleatorische Interaktionen zwischen der Probe und dem Medium, speziell den Molekülen und ihrer Umgebung. Zwar kann Rauschen in einigen Fällen die Messungen stören, jedoch ist es nicht immer problematisch. Yamasaki et al. [14] zeigten, dass das von ihnen vorgeschlagene Verfahren zur Bestimmung von Ratenkonstanten nicht durch Rauschen beeinträchtigt wurde. Dies bedeutet, dass ein robustes Analyseverfahren auch in Gegenwart von Rauschen zuverlässig sein kann. Dennoch muss der Einfluss von Rauschen immer berücksichtigt werden, um die Werte der Ratenkonstanten genau zu ermitteln.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Wahl des richtigen Modells für die Datenanpassung. Es ist bekannt, dass die üblichen Tests wie R2R^2 und der Chi-Quadrat-Test nicht immer eine klare Antwort darauf geben, welches Modell am besten zu den Daten passt. Der Auswahlprozess eines geeigneten Modells muss in Verbindung mit dem Reaktionsmechanismus erfolgen, der der zugrunde liegenden kinetischen Theorie entspricht. Um zwischen verschiedenen Modellen zu entscheiden, können statistische Tests wie der F-Test und das Akaike-Informationskriterium (AIC) verwendet werden. Der F-Test geht davon aus, dass die Modelle verschachtelt sind, das heißt, ein Modell ist eine vereinfachte Version eines anderen. Wenn die Modelle jedoch nicht verschachtelt sind, liefert das Modell mit dem niedrigeren AIC den besten Fit für die Daten.

Die Berechnung der optimalen Parameterwerte bei der nichtlinearen Regression erfordert in der Regel iterative Prozesse, da die zweiten und höheren Ableitungen für nichtlineare Modelle nicht null sind. Hierbei kommen verschiedene Algorithmen zum Einsatz, wie beispielsweise der Gauss-Newton-Algorithmus, der Marquardt-Levenberg-Algorithmus (LMA), der Nelder-Mead-Algorithmus und der steilste Abstieg. Diese Methoden erfordern, dass der Benutzer Anfangswerte für die Parameter eingibt, welche dann durch iteratives Verfahren verfeinert werden, um optimale Schätzwerte zu erhalten. Alle diese Algorithmen haben ähnliche Eigenschaften, jedoch können sie in ihrer Effizienz variieren. Der LMA beispielsweise ist besonders gut geeignet, um lokale Minima zu finden, jedoch nicht globale Minima.

Für eine erfolgreiche Parametrisierung von Kinetikdaten hat Zielinski et al. [15] einen strukturierten Workflow vorgeschlagen, der in sechs Schritten durchgeführt wird. Diese Schritte umfassen die Sammlung von Kinetikdaten, die Konstruktion eines Mechanismus für die Reaktion, die Definition der entsprechenden Gleichungen, die Vorverarbeitung der Daten, die Anpassung der Gleichungen an die Daten und schließlich die Clusterung der resultierenden Ratenkonstanten. Dieser strukturierte Ansatz hilft dabei, die Komplexität der Kinetikanalyse zu reduzieren und ermöglicht eine präzise Bestimmung der Ratekonstanten.

Neben der Anwendung von spezialisierten Algorithmen können kommerzielle Softwarelösungen wie Microsoft Excel eine nützliche und kostengünstige Methode zur Durchführung nichtlinearer Regressionen bieten. Excel enthält die SOLVER-Funktion, die für die Anpassung von nichtlinearen Funktionen an Daten mittels eines iterativen Algorithmus optimiert ist. Dies ist besonders vorteilhaft, da Excel eine benutzerfreundliche Oberfläche bietet und keine zusätzlichen Kosten verursacht, sofern Microsoft Office bereits auf dem Computer installiert ist. Weitere fortschrittliche Programme bieten jedoch zusätzliche Funktionen und bessere Unterstützung für komplexe Kinetikanalysen.

Um genaue Ergebnisse in der Kinetikanalyse zu erzielen, ist es wichtig, dass der gesamte Prozess – von der Datensammlung über die Modellwahl bis hin zur Parametrisierung – sorgfältig durchgeführt wird. Die Wahl des richtigen Modells und der richtigen Methode sowie die Berücksichtigung von Rauschen und anderen Störungen können die Qualität der Analyse erheblich beeinflussen. Bei unsachgemäßer Durchführung können die Ergebnisse verzerrt sein und die Interpretation der Kinetik falsch sein.