Aristoteles beschreibt in seiner Rhetorik zwei zentrale Formen der logischen Überzeugung: Beispiele als eine Art Induktion und Enthymeme als eine Form der Deduktion. Beispiele sind vergleichende Fälle, in denen eine bekannte Situation herangezogen wird, um eine unbekannte zu erklären und so den Zuhörer zu einer ähnlichen Schlussfolgerung zu führen. Enthymeme hingegen sind verkürzte syllogistische Argumente, bei denen eine Prämisse unausgesprochen bleibt, weil sie dem Zuhörer als selbstverständlich gilt. Dadurch wird er aktiv in den Schlussprozess einbezogen und muss die fehlenden Teile selbst ergänzen.
Diese Unterscheidung verdeutlicht, wie Rhetorik nicht nur aus festen Argumentationsstrukturen besteht, sondern auch auf dem Wissen und der Erfahrung des Publikums aufbaut. Aristoteles erweitert sein Arsenal der rhetorischen Mittel durch eine Vielfalt von Vorschlägen, die von universal gültigen Aussagen über Größe und Gerechtigkeit bis hin zu emotionalen Appellen reichen, wie sie in seiner Poetik untersucht werden. Die Rhetorik bleibt ein lebendiges Feld, das über Jahrhunderte von Philosophen und Denkern weiterentwickelt wurde und wird.
Im Kontext moderner politischer und gesellschaftlicher Diskurse erhält das Konzept der „Erfindung“ eine besondere Bedeutung. Ein bemerkenswertes Beispiel liefert der russische Performancekünstler Petr Pavlenskij, dessen Aktionen radikale körperliche Selbstverletzung als Mittel des Protests nutzen. Seine Performances provozieren starke emotionale Reaktionen und schaffen dadurch einen „rechten Geisteszustand“ beim Publikum, um politische Missstände sichtbar und erfahrbar zu machen. Pavlenskijs Kunstwerk ist kein bloßer Ausdruck, sondern ein rhetorischer Akt, der den Zuhörer oder Betrachter zwingt, die bekannte Realität durch eine neue Perspektive – einen Parallaxenblick – zu sehen. Indem er ein umkämpftes Thema in einen konkurrierenden Deutungsrahmen stellt, ermöglicht er eine kulturelle Übersetzung, die festgefahrene Sichtweisen aufbricht.
Die Bedeutung kultureller Übersetzung in der Erfindung besteht darin, dass sie als Werkzeug dient, solipsistische Denkmuster zu durchbrechen. Statt nur neue Inhalte zu schaffen, eröffnet sie neue Sichtweisen und Bedeutungsräume, die den Dialog erweitern und die Möglichkeiten der Verständigung erhöhen. Pavlenskijs Aktionen zeigen exemplarisch, wie Kunst und Rhetorik zusammenwirken können, um gesellschaftliche Debatten anzuregen und eine neue Lesart von politischen Realitäten zu ermöglichen.
Es ist wichtig, über die formale Struktur rhetorischer Argumente hinaus auch die Rolle der kulturellen Kontexte und der emotionalen Wirkung zu erkennen. Die Überzeugungskraft entsteht nicht nur aus logischen Schlüssen, sondern ebenso aus der Fähigkeit, einen gedanklichen und emotionalen Rahmen zu schaffen, in dem neue Einsichten möglich werden. Dabei wird der Zuhörer nicht als passiver Empfänger betrachtet, sondern als aktiver Mitgestalter des Sinns.
Darüber hinaus erfordert die Anwendung dieser rhetorischen Mittel ein feines Gespür für die soziale und politische Umgebung, in der Kommunikation stattfindet. Nur so kann Erfindung wirksam werden und transformative Effekte erzielen. Das Zusammenspiel von Logik, Emotion und kultureller Übersetzung bildet somit das Fundament einer überzeugenden und tiefgreifenden Rhetorik, die gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse beeinflussen kann.
Wie hat sich die Bedeutung von „Fake News“ seit 2016 verändert?
Die Entwicklung des Begriffs „Fake News“ seit dem Jahr 2016 bietet ein prägnantes Beispiel für den Wandel öffentlicher Diskurse im digitalen Zeitalter. Die Google-Suchdaten zeigen, dass der Begriff vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2016 kaum Beachtung fand. Doch unmittelbar nach der Wahl schnellte das Interesse in die Höhe und erreichte während der Amtseinführung von Donald Trump einen ersten Höhepunkt. Ein zweiter Ausschlag folgte im Januar 2018, als Trump demonstrativ die sogenannten „Fake News Awards“ verlieh – ein Moment, der nicht nur die öffentliche Wahrnehmung des Begriffs, sondern auch seine politische Funktion deutlich veränderte.
In der digitalen Medienlandschaft hat sich das Produktions- und Konsumverhalten von Nachrichten grundlegend gewandelt. Während Journalist:innen in früheren Jahrzehnten einem professionellen Ethos folgten – getrieben nicht zuletzt von marktwirtschaftlichem Wettbewerb und dem Risiko, Leser:innen an seriösere Konkurrenten zu verlieren – hat sich mit der Digitalisierung diese Dynamik aufgelöst. Die Eintrittsbarrieren für neue Akteur:innen sind gesunken, die Zahl der Informationsquellen hat sich vervielfacht, und viele dieser neuen Akteur:innen agieren außerhalb traditioneller journalistischer Normen. Provokation und Polarisierung haben sich vielfach als erfolgreichere Strategien zur Generierung von Aufmerksamkeit und Reichweite erwiesen als sorgfältig recherchierte Berichterstattung.
Gleichzeitig hat sich auch das Verhalten der Rezipient:innen verändert. 2016 bezogen etwa 40 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner:innen regelmäßig Nachrichten aus dem Internet, insbesondere über soziale Medien. In der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren war dieser Anteil mit 50 Prozent sogar deutlich höher. Algorithmen, Automatisierung und die Rolle von Bots haben die Verbreitung von Falschinformationen massiv beschleunigt. Studien belegen, dass sich falsche Informationen schneller, tiefer und weiter verbreiten als wahrheitsgemäße Inhalte – insbesondere im Bereich politischer Nachrichten. Dies unterstreicht, dass sich nicht nur die Medieninfrastruktur, sondern auch die epistemologischen Bedingungen der öffentlichen Kommunikation verschoben haben.
Doch der Begriff „Fake News“ ist nicht nur technisch oder journalistisch relevant – er ist zutiefst politisch geworden. Anfangs noch als Schlagwort für gezielte Desinformationskampagnen verwendet, wurde er zunehmend als rhetorisches Mittel instrumentalisiert. Politiker, insbesondere Donald Trump, begannen systematisch, kritische Berichterstattung pauschal als „Fake News“ zu diffamieren, während ihnen genehme Medien als glaubwürdig dargestellt wurden. Der Begriff wurde so entkernt und funktionalisiert: Was als „falsch“ gilt, hängt nicht mehr an überprüfbaren Fakten, sondern an parteipolitischer Loyalität. In diesem Sinne hat der Begriff seine Bedeutung als analytisches Konzept verloren und wurde zum politischen Kampfbegriff.
Dieser Wandel hat tiefgreifende Folgen für das Verständnis von Journalismus, Objektivität und öffentlicher Wahrheit. Die gezielte Delegitimierung kritischer Medien und die Subversion journalistischer Standards durch Strategien wie Gaslighting haben dazu geführt, dass nicht nur bestimmte Informationen, sondern auch ganze Institutionen der Wahrheitsproduktion in Zweifel gezogen werden. Gaslighting – in diesem Kontext verstanden als bewusste Strategie der Verwirrung, der Leugnung von belegbaren Aussagen und der systematischen Verdrehung von Realität – wurde zu einem Werkzeug politischer Macht. Trump etwa hat in zahlreichen Fällen öffentlich Behauptungen aufgestellt, um sie später zu leugnen oder ins Gegenteil zu verkehren. Diese Taktik zielt nicht nur darauf ab, Journalist:innen zu diskreditieren, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in ihre eigene Urteilsfähigkeit zu untergraben.
Das Resultat ist eine tiefgreifende epistemische Unsicherheit: Die klassische Vorstellung, dass öffentliche Debatten auf einer gemeinsamen Faktenbasis stattfinden, wird zunehmend obsolet. Stattdessen verschieben sich die Grundlagen der Meinungsbildung in den Bereich affektiver Loyalitäten und ideologischer Zugehörigkeit. Wer „Fake News“ ruft, verweist nicht mehr auf überprüfbare Unwahrheiten, sondern auf eine symbolische Abgrenzung gegenüber anderen Weltdeutungen.
Daher ist es unerlässlich, den Begriff „Fake News“ nicht als stabile Kategorie zu betrachten, sondern als diskursives Feld, das umkämpft ist und in dem sich größere gesellschaftliche Konflikte spiegeln. Es geht nicht nur um falsche Informationen, sondern um die Aushandlung von Autorität, Vertrauen und Wahrheit in einer zunehmend fragmentierten Öffentlichkeit.
Wichtig ist darüber hinaus, zu erkennen, dass „Fake News“ kein neues Phänomen ist. Schon immer gab es Desinformation, Gerüchte und politische Propaganda. Neu ist jedoch die technologische Infrastruktur, die Geschwindigkeit der Verbreitung, die systematische politische Instrumentalisierung und die damit einhergehende Aushöhlung journalistischer Glaubwürdigkeit. Ebenso entscheidend ist das Verständnis, dass der Kampf um die Bedeutung des Begriffs „Fake News“ Teil eines größeren kulturellen Konflikts ist: Es geht um Deutungshoheit, um den Zugang zu kollektiver Wahrheit und letztlich um die Zukunft demokratischer Diskurse in der digitalen Ära.
Wie verändert sich unser Verständnis der Kommunikation durch die Perspektive des Parallaxenblicks?
Viele Menschen treten in Kommunikationskurse mit einer tiefen Skepsis ein, da sie glauben, dass die Inhalte für ihr tägliches Leben irrelevant sind oder zu abstrakt wirken. Sie fürchten, dass sie mit komplexen, unverständlichen Theorien konfrontiert werden, die ihnen wenig nützen, da sie „nur genug Worte brauchen, um sich durchzuschlagen“. Doch gerade diese Haltung verdeutlicht, wie stark unausgesprochene Annahmen ihr Verständnis der Welt und insbesondere der Kommunikation prägen. Kommunikation wird meist intuitiv verstanden – als Austausch von Informationen oder als Versuch, andere zu überzeugen. Doch dieses „Alltagswissen“ ist unvollständig. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, diese verborgenen Annahmen bewusst zu machen und zu reflektieren.
Das Konzept des „interpretativen Horizonts“ spielt hierbei eine zentrale Rolle. Dieser Begriff ist eine Metapher: So wie wir einen realen Horizont sehen, an dem sich die sichtbaren Objekte abzeichnen, verstehen wir unsere Umwelt immer vor dem Hintergrund grundlegender, meist unbewusster Annahmen. Diese Annahmen definieren, was wir als normal oder selbstverständlich ansehen. Erst durch das Erkennen und Infragestellen dieser interpretativen Horizonte wird es möglich, Phänomene der Kommunikation differenzierter zu verstehen und zu analysieren.
Das Ziel der kulturellen Übersetzung, die hier metaphorisch für das Verständnis anderer Weltsichten steht, ist es, diese verborgenen Grundbausteine des Denkens sichtbar zu machen. Dies ist keine Belehrung von oben herab, sondern ein wechselseitiger Prozess des Verstehens. Dabei kommt der sogenannte Parallaxenblick zum Einsatz. Parallaxe, abgeleitet vom griechischen „παράλλαξις“ für „Variante“, beschreibt die Veränderung der Wahrnehmung eines Objekts, wenn der Betrachter seine Position verändert. Ein Beispiel: Man sieht eine Wandmalerei, die teilweise von einem Pfosten und einem Schuppen verdeckt ist. Beim Vorbeigehen ändern sich die Blickwinkel, sodass der Schuppen schneller aus dem Sichtfeld verschwindet als der Pfosten, während das weit entfernte Wandbild relativ unverändert bleibt. Die Position der Objekte zueinander bleibt gleich, doch unsere Wahrnehmung verschiebt sich.
Dieses Bild verdeutlicht, wie sich Perspektiven auf Kommunikation und Kultur ändern lassen. Man kann nicht einfach „die Wahrheit“ einnehmen, sondern muss sich bewegen, seine Sicht verändern und dabei die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Perspektiven in den Blick nehmen. Ein Beispiel hierfür ist die Wahrnehmung von Konflikten. Wie im Fall von Star Wars sehen sich Menschen gern als Helden, als Rebellen gegen ein unterdrückendes Imperium. Doch die Rolle des Rebellen oder des Imperiums wird von jeder Seite anders interpretiert. Ein US-Soldat in Bagdad erkannte sich plötzlich als der „stormtrooper“, als Teil der unterdrückenden Macht aus der Sicht der Irakis. Perspektive prägt also nicht nur, was wir sehen, sondern auch, wie wir uns selbst und andere verstehen.
Die Parallaxenmetapher hilft auch zu verstehen, warum allein das gegenseitige Verstehen von Perspektiven nicht zwangsläufig zu Übereinstimmung führt. Menschen können die Sichtweise des Gegenübers nachvollziehen und trotzdem unterschiedlicher Meinung bleiben. Doch ohne diesen Perspektivwechsel ist überhaupt kein Dialog möglich. Erst wenn wir uns die Mühe machen, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, können wir Brücken bauen und gemeinsame Bedeutungen aushandeln.
Wichtig ist zu erkennen, dass dieser Prozess nie abgeschlossen ist. Der interpretative Horizont ist dynamisch und wandelbar. Kommunikation ist kein statisches Gebilde, sondern ein sich ständig verändernder Austausch, der von Kontext, Kultur und individuellen Erfahrungen geprägt wird. Das Bewusstsein über den eigenen Horizont und die Bereitschaft, ihn zu hinterfragen, sind deshalb zentrale Voraussetzungen für ein tieferes Verständnis und für echte Verständigung.
Zusätzlich ist zu beachten, dass sich kulturelle Übersetzungen und kommunikative Parallaxen nicht nur auf zwischenmenschliche Begegnungen beziehen, sondern auch auf den Umgang mit eigenen Denkmustern. Das Erkennen der eigenen blinden Flecken und das aktive Hinterfragen des eigenen Weltbildes sind notwendig, um Kommunikation als komplexen, mehrdimensionalen Prozess zu begreifen. Dies erfordert Mut zur Unsicherheit und zur Ambiguität, da es oft keine einfachen Antworten gibt, sondern nur verschiedene Sichtweisen nebeneinander existieren.
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