Die Forschung zur organisationalen Gerechtigkeit hat sich zunehmend auf das Konzept der „Multifoci-Gerechtigkeit“ konzentriert, das die Wahrnehmung von Fairness aus unterschiedlichen Quellen innerhalb und außerhalb der Organisation beleuchtet. Dieses multifokale Modell betrachtet nicht nur die Organisation als Ganzes, sondern differenziert explizit zwischen verschiedenen Akteuren, die von Mitarbeitenden als verantwortlich für eine faire oder unfair behandelte Rolle wahrgenommen werden. Dazu zählen etwa Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, aber auch externe Parteien wie Kunden oder Klienten.
Die Annahme, dass unterschiedliche Gerechtigkeitsquellen verschieden erlebt werden können, ist zentral. Mitarbeitende können gleichzeitig einen Vorgesetzten als ungerecht empfinden, während sie Kolleginnen und Kollegen als fair beurteilen. Diese differenzierte Sichtweise bietet eine nuancierte Erklärung dafür, warum Mitarbeiterverhalten und Einstellungen sich nicht immer einheitlich erklären lassen. Beispielsweise können positive Effekte von wahrgenommener Fairness bei Kundenbeziehungen parallel zu negativen Effekten infolge von Konflikten im direkten Team bestehen.
Empirische Untersuchungen, einschließlich Meta-Analysen, stützen das multifokale Modell und zeigen, dass verschiedene Gerechtigkeitsquellen jeweils spezifische Auswirkungen auf Mitarbeiterverhalten und -einstellungen entfalten. So sind nicht nur Vorgesetzte, sondern auch Peers oder externe Gruppen maßgebliche Einflussgrößen für Einstellungen wie affektives Commitment, Vertrauen oder die Bereitschaft zur Übernahme von zusätzlichen, freiwilligen Aufgaben (Organizational Citizenship Behavior). Gleichzeitig lassen sich negative Folgen von wahrgenommener Ungerechtigkeit wie erhöhte Fluktuationsabsichten oder destruktives Verhalten besser erklären, wenn die Vielfalt der Gerechtigkeitsquellen berücksichtigt wird.
Neuere Forschungsansätze erweitern das Modell um bislang wenig erforschte Gerechtigkeitsquellen und deren Interaktionen. Besonders interessant ist die Rolle von Kunden oder Klienten, deren Verhalten und Behandlung durch Mitarbeitende eine eigene Gerechtigkeitsdimension eröffnet. Dies trägt zu einem umfassenderen Verständnis bei, wie Gerechtigkeit in komplexen Arbeitsumgebungen erlebt und bewertet wird.
Darüber hinaus gewinnt die Erforschung kultureller Unterschiede an Bedeutung. Die Wahrnehmung und Bewertung von Fairness kann sich stark zwischen Kulturen unterscheiden, was eine Anpassung der multifokalen Ansätze an internationale Kontexte erforderlich macht. Ebenfalls rückt die Verbindung zur unternehmerischen Sozialverantwortung (Corporate Social Responsibility) in den Fokus, da diese externe Gerechtigkeitsaspekte in die interne Mitarbeiterperspektive einbeziehen kann.
Es zeigt sich, dass das Verständnis von Fairness am Arbeitsplatz nicht nur durch die Berücksichtigung verschiedener Quellen vertieft wird, sondern auch durch das Erforschen ihrer Wechselwirkungen. So kann die Wahrnehmung einer fairen Behandlung durch den Vorgesetzten beispielsweise negative Erfahrungen mit Kunden oder Kollegen abmildern oder verstärken.
Von zentraler Bedeutung ist, dass Mitarbeitende ihre Erfahrungen mit unterschiedlichen Gerechtigkeitsquellen individuell und teilweise widersprüchlich wahrnehmen. Diese Divergenz prägt ihre Einstellungen und ihr Verhalten im Arbeitskontext entscheidend mit. Damit wird klar, dass Organisationen und Führungskräfte bei der Gestaltung gerechter Arbeitsbedingungen alle relevanten Bezugsgruppen beachten müssen, um das volle Potenzial positiver Effekte auf Mitarbeitermotivation, -bindung und -leistung auszuschöpfen.
Das Verständnis der Multifokalen Gerechtigkeit erfordert auch eine differenzierte Betrachtung der Mechanismen, durch die unterschiedliche Gerechtigkeitsquellen aufeinander einwirken. Ein vielversprechender Forschungsansatz ist die Untersuchung von Interaktionen zwischen internen und externen Gerechtigkeitswahrnehmungen sowie deren Auswirkungen auf das kollektive Gerechtigkeitserleben innerhalb von Teams oder Organisationen. So können beispielsweise kollektive Normen oder Organisationsklima die individuelle Wahrnehmung von Fairness beeinflussen und vice versa.
Endlich muss bei der Interpretation von Gerechtigkeitserfahrungen bedacht werden, dass diese stark situativ geprägt sind und durch kontextspezifische Faktoren wie etwa die Art der Arbeitsaufgaben, die organisationalen Rahmenbedingungen oder die Kommunikation der Führungskräfte modifiziert werden können. Die Bewusstmachung dieser Komplexität erlaubt es Organisationen, passgenaue Maßnahmen zur Förderung von Fairness zu entwickeln und somit die psychologische Sicherheit, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Leistungsfähigkeit nachhaltig zu stärken.
Warum moralische Werte in der Gesellschaft so widerstandsfähig sind: Die Rolle von deontischen Emotionen und Tabu-Handlungen
Im sozialen und moralischen Kontext spielt der Schutz bestimmter Werte eine fundamentale Rolle, wenn es darum geht, was als akzeptables Verhalten gilt und was nicht. Diese Werte, die als „geschützte Werte“ bezeichnet werden, sind oft so tief in der Gesellschaft verwurzelt, dass ihre Verletzung als unzulässig angesehen wird, unabhängig von den Umständen. Solche Werte können auf Religion, Ethik, oder allgemein anerkannten moralischen Normen basieren. Sie bilden die Grundlage für eine Vielzahl von moralischen Entscheidungen und Handlungen, insbesondere in Situationen, die als Tabu betrachtet werden.
Die Idee von Tabu-Trade-offs und der moralischen Reaktion auf deren Verletzung ist eine zentrale Diskussion in der moralpsychologischen Forschung. Tabu-Trade-offs beziehen sich auf Situationen, in denen Menschen gezwungen sind, zwischen zwei unvereinbaren und moralisch unzulässigen Optionen zu wählen. Ein klassisches Beispiel ist die Entscheidung, ob man ein Produkt kaufen sollte, das von Kindern in Sweatshops hergestellt wurde, oder ob man sich der Möglichkeit beugt, durch den Kauf indirekt Kinderausbeutung zu unterstützen. In solchen Fällen sind die Menschen in der Regel weniger bereit, eine Handlung zuzulassen als eine Unterlassung. Das bedeutet, dass die Verletzung eines geschützten Wertes durch eine aktive Handlung moralisch stärker belastet wird als durch ein bloßes Unterlassen der Handlung.
Forschungsergebnisse von Ritov und Baron (1999) zeigen, dass bei Tabu-Trade-offs oft ein „Omissionsbias“ auftritt, bei dem Menschen Schäden, die durch Unterlassungen entstehen, als weniger schlimm ansehen als die, die durch eine aktive Handlung verursacht werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Handlung in den Augen der Gesellschaft als schwerwiegender moralischer Verstoß angesehen wird, wie im Falle von Kinderausbeutung oder Diskriminierung. Interessanterweise führen diese moralischen Dilemmata häufig zu negativen Emotionen wie Empörung, Ekel oder auch Schuld, die als eine Form der moralischen Reinigung und Sühne angesehen werden.
Darüber hinaus kann die Vorstellung, sich mit einem Tabu-Trade-off auseinanderzusetzen, zu moralischer Unreinheit führen, was Menschen oft dazu bringt, sich mit einer Art von moralischer Reinigung auseinanderzusetzen, um die innere Spannung und das Gefühl der Unzulässigkeit zu lindern. Diese Reaktion ist eng verbunden mit deontischen Emotionen – negativen Gefühlen wie Wut und Ekel – die häufig auftreten, wenn man mit einer moralisch problematischen Entscheidung konfrontiert wird. Solche Emotionen entstehen oft, wenn man beobachtet, dass ein geschützter Wert verletzt wird oder eine Handlung begangen wird, die gegen fundamentale ethische Prinzipien verstößt.
Es gibt auch eine weitere Dimension von moralischen Dilemmata, die als „heretische Kontrafaktuals“ bezeichnet wird. Diese entstehen, wenn hypothetische Szenarien aufgestellt werden, die religiöse, politische oder soziale Normen infrage stellen und so die Grenzen des moralisch Zulässigen überschreiten. Ein Beispiel für ein solches Szenario ist die Vorstellung, dass eine historisch angesehene Persönlichkeit wie Steve Jobs als rücksichtslos oder narzisstisch angesehen wird. Die bloße Erwägung eines solchen Gedankens wird von vielen als moralisch unangemessen empfunden, da es den heiligen oder unantastbaren Status von Persönlichkeiten und Ideen in Frage stellt.
Die moralische Notwendigkeit, bestimmte Werte zu wahren, ist eine treibende Kraft hinter der Entstehung von deontischen Emotionen und moralischen Mandaten. Deontische Emotionen, die sich auf die Wahrung von moralischen Pflichten und die Vermeidung von Unrecht beziehen, sind untrennbar mit dem Erleben von Unrecht verbunden. Sie sind nicht nur Reaktionen auf persönliche Ungerechtigkeit, sondern auch auf die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit gegenüber anderen. Wenn jemand ein unzulässiges Verhalten beobachtet, wie etwa die Ausbeutung von Kindern, kann dies zu intensiven Gefühlen der Empörung und Wut führen, die als moralische Reaktionen auf den wahrgenommenen Verstoß gegen einen geschützten Wert interpretiert werden.
In Bezug auf Kinderausbeutung als moralisches Mandat zum Beispiel, wird die moralische Reaktion oft als die Ablehnung jeglicher Form von Kinderarbeit verstanden, die mit dem Ziel verbunden ist, das Wohl von Kindern zu schützen und ihre Rechte zu wahren. Jegliche Handlung, die dieses grundlegende Prinzip verletzt, wird als moralisch unzulässig angesehen und kann zu starken negativen Gefühlen führen, da sie als ein direkter Angriff auf die Unversehrtheit und Würde des Kindes betrachtet wird.
Doch der Begriff „Deonanz“ stellt eine differenziertere Sichtweise dar. Während geschützte Werte und moralische Mandate in ihrer Widerstandskraft gegenüber Verletzungen und Tabu-Handlungen relativ starr sind, betrachtet Deonanz die moralischen „Soll“-Kräfte als multidimensional und nicht absolut. In diesem Rahmen wird moralische Verpflichtung nicht nur als strikte Vermeidung von Unrecht verstanden, sondern auch als eine flexiblere und nuanciertere Betrachtung der ethischen Verantwortung. Diese Sichtweise könnte es ermöglichen, bestimmte Praktiken unter bestimmten Bedingungen zu akzeptieren, wenn diese als Entwicklungsschritte oder als Teil einer größeren sozialen Funktion angesehen werden.
Ein Beispiel hierfür könnte die Frage nach der Akzeptabilität von Kinderarbeit im Kontext von Entwicklungsprozessen sein, etwa in einem familiären Umfeld, wo Kinder unter Anleitung arbeiten, um eine wertvolle Lebenslektion zu erlernen. In solchen Fällen kann eine differenzierte Perspektive darauf hinweisen, dass nicht jede Form von Kinderarbeit automatisch als moralisches Vergehen betrachtet werden muss, solange sie unter kontrollierten und wohlwollenden Bedingungen stattfindet. Dies stellt jedoch eine Herausforderung dar, da der moralische Impuls, Kinder vor jeglicher Arbeit zu schützen, sehr stark ist und tief in der Gesellschaft verankert ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konzepte von geschützten Werten, moralischen Mandaten und Deonanz ein komplexes Netz von Überlegungen und emotionalen Reaktionen darstellen, das den moralischen Entscheidungsprozess in der Gesellschaft prägt. Die Untersuchung dieser Werte und der damit verbundenen emotionalen Reaktionen ist entscheidend, um zu verstehen, wie Gesellschaften Normen entwickeln, wie sie diese durchsetzen und welche Mechanismen dazu führen, dass bestimmte Werte als unverhandelbar betrachtet werden.
Wie beeinflusst die Orientierung auf Andere die Reaktionen auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz?
Die Theorie der Orientierung auf Andere beschreibt, wie die Motivation einer Person – ob sie eher eigennützig oder auf das Wohl anderer ausgerichtet ist – deren Reaktionen auf Gerechtigkeitswahrnehmungen und Entscheidungen in Organisationen prägt. Personen mit geringer Orientierung auf Andere neigen dazu, negative Bewertungen als persönliche Angriffe zu verstehen und zeigen häufig eine ablehnende Haltung gegenüber dem Bewerter. Diese Reaktionen können die Wahrnehmung von Interaktionsgerechtigkeit erheblich beeinträchtigen und verstärken damit das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen oder Exit-Absichten, wenn Unzufriedenheit am Arbeitsplatz vorherrscht.
Im Gegensatz dazu reagieren Menschen mit hoher Orientierung auf Andere anders: Sie interpretieren ungerechte Entscheidungen weniger als Angriff auf die eigene Person und sind eher bereit, persönliche Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, um soziale Harmonie zu bewahren. So zeigten Studien, dass Personen mit hoher Orientierung auf Andere eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, sich durch ungerechte Behandlung zu distanzieren oder die Organisation zu verlassen. Vielmehr zeigen sie ein größeres Maß an Toleranz gegenüber ungerechten oder unangenehmen Situationen und tendieren dazu, soziale Distanz zu minimieren.
Diese unterschiedliche Verarbeitung von Gerechtigkeitswahrnehmungen spiegelt sich auch in der Bewertung von Auswahlgesprächen wider. Teilnehmer mit hoher Orientierung auf Andere empfanden die Fairness der Interviews unabhängiger von deren Ergebnis. Sie legten weniger Wert auf das Ergebnis, sondern achteten stärker auf die Art der Interaktion und die Behandlung während des Gesprächs. Dies zeigt, dass das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit und respektvollem Umgang bei ihnen stärker ausgeprägt ist als die Fokussierung auf rein eigene Vorteile.
Darüber hinaus ist die Reaktion auf Ungerechtigkeiten bei Personen mit hoher Orientierung auf Andere durch eine normative, weniger kalkulative Verhaltensweise geprägt. Während Personen mit niedriger Orientierung auf Andere eher selbstbezogen und strategisch auf wahrgenommene Ungerechtigkeiten reagieren, indem sie beispielsweise die Organisation verlassen oder Sanktionen androhen, vermeiden andereorientierte Personen häufig Racheakte oder Bestrafungsmaßnahmen, die anderen Schaden zufügen könnten, selbst wenn dies persönliche Kosten verursacht. Dies korrespondiert mit Ergebnissen, die zeigen, dass Personen mit hoher Orientierung bereit sind, ungerechtfertigte Vorteile zu vergeben oder sich gegen eine zu harte Bestrafung von Individuen aussprechen, um soziale Beziehungen nicht zu gefährden.
Im Bereich der Verfahrensgerechtigkeit sind andereorientierte Personen auch bereit, mehr Zeit und Mühe aufzubringen, etwa indem sie unqualifizierten Bewerbern dieselbe Aufmerksamkeit schenken wie qualifizierten. Dieses Verhalten zeigt eine Bereitschaft, persönliche Komfortzonen zugunsten eines fairen und respektvollen Umgangs zu verlassen. Solche Führungskräfte, die stark auf Andere orientiert sind, verfügen daher über eine größere Kompetenz, prozedurale und interaktionale Gerechtigkeit wirkungsvoll zu vermitteln.
Das Zusammenspiel von Orientierung auf Andere und Gerechtigkeitswahrnehmungen hat tiefgreifende Implikationen für das Arbeitsumfeld. Organisationen, die eine starke andereorientierte Kultur fördern, schaffen ein Klima, das Fairness begünstigt und die Bereitschaft erhöht, auch in schwierigen Situationen sozial verträglich zu handeln. Dies kann dazu beitragen, Konflikte zu minimieren, Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen und die Fluktuation zu reduzieren.
Wichtig ist zu verstehen, dass diese Orientierung auf Andere nicht nur eine individuelle Charaktereigenschaft ist, sondern auch durch organisatorische Rahmenbedingungen beeinflusst und verstärkt werden kann. Somit sollte die Entwicklung von Führungskräften und die Gestaltung von Organisationskulturen gezielt darauf abzielen, andereorientierte Werte zu fördern. Nur so lässt sich ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen rationalem Eigeninteresse und sozialer Rücksichtnahme herstellen, das langfristig zu mehr Gerechtigkeit und Stabilität in Organisationen führt.
Wie wirkt sich restorative Gerechtigkeit auf die Wiedereingliederung von Straftätern und die Opfervergebung aus?
Die Bedeutung von Entschuldigungen und Wiedergutmachung in Prozessen der Restorative Justice ist in vielen wissenschaftlichen Studien beleuchtet worden. Ein zentrales Ergebnis dieser Forschungen ist, dass die Wiedergutmachung von Vergehen und die Fähigkeit von Opfern, Straftätern zu vergeben, in hohem Maße von sozialen und kulturellen Kontexten sowie von der Art des begangenen Verbrechens abhängen.
Wenzel et al. (2012) zeigen, dass Opfer eher bereit sind, Straftätern zu vergeben, wenn diese sich aufrichtig entschuldigen und wenn eine gemeinsame Identität zwischen Opfer und Täter besteht. Insbesondere in Kontexten, in denen eine starke soziale Identität geteilt wird, etwa bei gemeinsamen Werten oder einer engen Beziehung zwischen den Beteiligten, ist es wahrscheinlicher, dass Opfer die Bemühungen des Täters, Schadensersatz zu leisten, akzeptieren. Dies führt zu einer größeren Bereitschaft zur Vergebung und stellt ein zentrales Element der Restorative Justice dar, die sowohl für das Opfer als auch für die Gesellschaft als ganzes von Vorteil ist.
Interessanterweise fanden auch Bottom et al. (2002) in ihren experimentellen Studien heraus, dass Entschuldigungen als Reaktion auf kooperative Verstöße zwar eine gewisse Wirkung erzielen, aber substanzielle Wiedergutmachungsversuche noch weitaus effektiver sind, um Kooperation und Vertrauen wiederherzustellen. Die Wahrnehmung der Schwere des Vergehens und die Zuschreibung von Intentionen spielen ebenfalls eine Rolle bei der Frage, ob Opfer bereit sind, dem Täter zu vergeben. Wenn ein Vergehen als absichtlich und grausam wahrgenommen wird, sinkt die Bereitschaft zur Vergebung. In diesen Fällen ist eine Entschuldigung allein oft nicht genug, um das Vertrauen des Opfers wieder zu gewinnen.
Ein Modell zur Wiedereingliederung von Straftätern, das von Goodstein, Aquino und Skarlicki (2011) entwickelt wurde, integriert verschiedene psychologische, soziale und instrumentelle Faktoren. Sie definieren die Wiedereingliederung von Straftätern als die Bereitschaft von anderen Mitarbeitenden, mit einem Täter weiterhin in einer Arbeitsbeziehung zu stehen, was durch die Wahrnehmung von moralischer Integrität, sozialer Verbundenheit und praktischen Fähigkeiten des Täters beeinflusst wird. Dieses Modell betont die Bedeutung eines integrativen Ansatzes, bei dem sowohl der Täter als auch die Gemeinschaft oder das Unternehmen aktiv an der Wiederherstellung des zwischenmenschlichen Vertrauens beteiligt sind.
Die Rolle von Dritten – etwa von Familienmitgliedern oder Kollegen – ist ebenfalls entscheidend, um den Prozess der Wiedereingliederung zu unterstützen. Studien von Eaton, Struthers und Santelli (2006) haben gezeigt, dass die Haltung von Dritten zur Vergebung und Wiedergutmachung einen direkten Einfluss auf das Verhalten der Opfer hat. Wenn Dritte den Täter unterstützen und eine Atmosphäre der Versöhnung fördern, kann dies die Bereitschaft des Opfers zur Vergebung stärken.
Darüber hinaus weisen Ren und Gray (2009) darauf hin, dass gesellschaftliche Einflüsse, wie etwa nationale Kultur, ebenfalls eine Rolle bei der Opfervergebung spielen. In kollektivistisch orientierten Kulturen, die stärker auf Interdependenz als auf individuelle Autonomie setzen, wird ein größerer Wert auf das Aufrechterhalten von Beziehungen und das Wohl der Gemeinschaft gelegt. Dies bedeutet, dass Opfer in solchen Kulturen eher bereit sind, dem Täter zu vergeben, um den sozialen Zusammenhalt zu wahren.
Restorative Justice geht über individuelle Vergehen hinaus und berücksichtigt auch die sozialen und organisatorischen Dimensionen des Schadens. Insbesondere im organisatorischen Kontext, wie bei Streitigkeiten am Arbeitsplatz oder in Gemeinschaften, ist der Prozess der Wiedergutmachung von zentraler Bedeutung. Braithwaite (2002) und Strang (2002) haben gezeigt, dass der Dialog zwischen Opfern, Tätern und Dritten nicht nur dazu beiträgt, den individuellen Schaden zu beheben, sondern auch langfristige positive Auswirkungen auf das kollektive Vertrauen und die sozialen Bindungen hat. In der Tat zeigt empirische Forschung, dass Straftäter, die an Restorative Justice-Verfahren teilgenommen haben, geringere Rückfallquoten aufweisen als jene, die traditionelle Strafprozesse durchlaufen haben (Menkel-Meadow, 2007; Presser & Vorhees, 2002). Dies weist darauf hin, dass der Wiederaufbau von Beziehungen durch Dialog und Verständnis möglicherweise eine nachhaltigere Lösung für das Problem der Straffälligkeit darstellt.
In der Praxis der Restorative Justice ist es wichtig, dass sowohl die Opfer als auch die Täter die Möglichkeit haben, ihre Perspektiven auszudrücken und zu verstehen. Dies fördert nicht nur das Verständnis, sondern auch die Verantwortung des Täters, was zu einer tatsächlichen Wiedergutmachung führt. Der Täter hat die Chance, zu erkennen, wie sein Verhalten das Opfer beeinflusst hat, und das Opfer kann hören, welche Reue der Täter zeigt. Ein solcher Austausch kann eine tiefgreifende Heilung ermöglichen, die über oberflächliche Entschuldigungen hinausgeht.
Es ist ebenfalls von Bedeutung, dass die Community oder das Unternehmen, in dem sich der Täter befindet, ihn in den Prozess der Wiedereingliederung unterstützt. Diese Unterstützung kann helfen, das Vertrauen in den Täter und seine Fähigkeit zur Veränderung zu stärken, was langfristig zu einer besseren Integration und weniger Rückfällen führen kann. Der Schlüssel zum Erfolg von Restorative Justice liegt in der aktiven Teilnahme aller Parteien – Opfer, Täter und Dritte – an einem gemeinsamen Prozess der Heilung und Wiedergutmachung.
Wie beeinflusst die Wahrnehmung der Fairness von Auswahlverfahren die Reaktionen von Bewerbern?
Die Wahrnehmung von Fairness bei Auswahlverfahren spielt eine entscheidende Rolle in den Reaktionen von Bewerbern auf den gesamten Prozess. Im Kontext von Bewerbungsverfahren ist es für Unternehmen von großer Bedeutung, wie Bewerber die Fairness des Auswahlverfahrens erleben, da dies weitreichende Konsequenzen für das Image des Unternehmens, die Bewerbermotivation und letztlich für die Entscheidung, ob ein Bewerber sich für die Position interessiert, haben kann.
Das Konzept der Fairness im Auswahlprozess kann auf unterschiedliche Weise verstanden werden, aber im Wesentlichen bezieht es sich darauf, wie gerecht und transparent die Auswahlkriterien und -methoden sind und wie respektvoll Bewerber während des gesamten Verfahrens behandelt werden. Eine faire Behandlung im Auswahlprozess führt dazu, dass sich Bewerber respektiert und wertgeschätzt fühlen, was ihre allgemeine Zufriedenheit steigert und positive Auswirkungen auf ihre Einstellung zum Unternehmen und der Marke hat.
Ein wesentliches Element der Fairnesswahrnehmung ist die Art und Weise, wie das Testverfahren durchgeführt wird. Studien zeigen, dass die Art und Weise, wie Testergebnisse erklärt und kommuniziert werden, einen großen Einfluss auf die Reaktionen der Bewerber hat. So berichten viele Bewerber, dass sie sich während des Tests sicherer und entspannter fühlten, wenn sie von den Testern gut behandelt wurden. Dies zeigt, wie wichtig es ist, eine offene Kommunikation während des gesamten Auswahlprozesses aufrechtzuerhalten, damit Bewerber Fragen stellen und Bedenken äußern können. Das Gefühl, dass ihre Meinungen gehört werden, trägt erheblich zu einer positiven Wahrnehmung des Verfahrens bei.
Im Rahmen der Untersuchungen zu Bewerberreaktionen wurden auch die sogenannten „Atributtions-Theorien“ untersucht, die erklären, wie Bewerber die Gründe für ihre Behandlung im Auswahlprozess wahrnehmen. Eine der wichtigsten Theorien ist die „Applicant Attribution-Reaction Theory“ (AART), die besagt, dass die Wahrnehmung von Fairness stark von der Interpretation abhängt, die Bewerber der Situation zuschreiben. Eine positive Attribution, bei der Bewerber das Verfahren als gerecht und transparent wahrnehmen, führt zu einer stärkeren Identifikation mit der Organisation und der Wahrscheinlichkeit, dass sie das Angebot annehmen, wenn sie eine Zusage erhalten. Auf der anderen Seite führen negative Attributionen zu einer schlechteren Wahrnehmung des Unternehmens, was das Engagement und das langfristige Interesse an der Position beeinträchtigen kann.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Relevanz der Fragen, die im Test gestellt werden. Ein Test, dessen Inhalt als unpassend oder zu persönlich empfunden wird, kann negative Reaktionen hervorrufen und das Vertrauen der Bewerber in den Auswahlprozess untergraben. Daher ist es entscheidend, dass die Fragen sowohl im Hinblick auf die Position als auch auf die Anforderungen des Unternehmens abgestimmt sind. Ein Test, der nicht nur für die Einstellungsentscheidung relevant ist, sondern auch klar die beruflichen Anforderungen widerspiegelt, wird von den Bewerbern eher als gerecht angesehen.
Interessanterweise zeigt die Forschung, dass die Reaktionen von Bewerbern auf Auswahlverfahren nicht nur „harte“ Ergebnisse wie die Entscheidung, ob sie die Stelle bekommen oder nicht, beeinflussen, sondern auch „weiche“ Ergebnisse wie die Einstellung zur Organisation oder die Bereitschaft, die Marke weiterzuempfehlen. Solche weichen Ergebnisse haben langfristige Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Arbeitgebermarke und können dazu führen, dass Bewerber bei zukünftigen Prozessen oder in anderen Kontexten wieder auf das Unternehmen zurückkommen.
Wichtig ist auch, dass die Fairnesswahrnehmung nicht nur während des Auswahlprozesses, sondern auch nach einer Absage einen entscheidenden Einfluss auf das zukünftige Verhalten des Bewerbers hat. Untersuchungen zeigen, dass Bewerber, die sich fair behandelt fühlten, selbst nach einer Ablehnung eine positive Einstellung zum Unternehmen behalten und es in der Zukunft eher in Betracht ziehen, erneut zu bewerben. Dies kann besonders relevant für Unternehmen sein, die auf eine langfristige Arbeitgebermarke setzen.
Neben der Fairnesswahrnehmung gibt es auch spezifische empirische Studien, die die Auswirkungen von Attributionsprozessen im Bewerberkontext untersuchen. Diese Studien zeigen, dass Bewerber, die den Auswahlprozess als gerecht erleben, ihre Ablehnung eher als „Zufall“ oder „Funktion des Marktes“ sehen und nicht als persönliche Ablehnung. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Einstellung des Bewerbers gegenüber dem Unternehmen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit beeinflussen kann, dass er das Unternehmen bei zukünftigen Gelegenheiten weiterempfiehlt oder sogar eine erneute Bewerbung in Erwägung zieht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine faire, transparente und respektvolle Behandlung der Bewerber nicht nur das direkte Verhalten während des Auswahlprozesses beeinflusst, sondern auch langfristige Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Unternehmens und die Bereitschaft, zukünftige Chancen zu ergreifen. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass der Umgang mit Bewerbern während des Auswahlprozesses entscheidend für die langfristige Bindung und das positive Image in der Arbeitsmarktwelt ist.
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